Der Pfad im Schnee
erschreckte Kaede und bereitete ihr dann großes Unbehagen. Wie konnte sie ablehnen, wenn er ihr die Heirat anbot? Nach seinen Worten war das »nach praktischen Gesichtspunkten« absolut sinnvoll. Es war eine weit größere Ehre, als sie verdiente, es würde alle ihre Probleme mit Geld und Nahrungsmitteln lösen, es war eine höchst wünschenswerte Verbindung. Doch sie wusste, dass er Männer vorzog, ihr galt weder seine Liebe noch sein Begehren. Er wollte sie besitzen. Sie betete, er möge nichts sagen, denn sie wusste nicht, wie sie ihn zurückweisen könnte. Sie fürchtete seine Willenskraft, die sich immer nahm, was sie wollte, und sich immer durchsetzte. Kaede bezweifelte ihre eigene Stärke, sich dem zu entziehen. Es wäre nicht nur eine undenkbare Beleidigung für jemanden seines Ranges, er faszinierte und beunruhigte sie auch und hatte deshalb eine Macht über sie, die sie nicht verstand.
»Ich habe noch nie einen Bären gesehen.« Sie hoffte das Thema zu wechseln und zog das schwere Fell um sich.
»Wir haben kleine Bären hier in den Bergen - einer kam einmal nach einem besonders langen Winter in den Garten. Ich ließ ihn fangen und eine Zeit lang in einen Käfig setzen, aber er litt und starb. Er war mit diesem hier nicht zu vergleichen. Ishida wird uns eines Tages von seinen Reisen erzählen. Würde Ihnen das gefallen?«
»Sehr. Er ist der Einzige, den ich kenne, der je auf dem Festland war.«
»Es ist eine gefährliche Reise. Ganz abgesehen von den Stürmen gibt es oft Zusammenstöße mit Piraten.«
Kaede hätte es lieber mit einem Dutzend Bären oder zwanzig Piraten zu tun gehabt, als mit diesem enervierenden Mann zusammenzubleiben. Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Sie fühlte sich sogar zu schwach, um sich zu bewegen.
»Mamoru und Ishida haben mir beide erzählt, was die Leute über Sie sagen: dass es den Tod bringt, Sie zu begehren.«
Kaede schwieg und nahm sich vor: Ich werde mich nicht schämen, ich habe nichts Böses getan. Sie schaute ihn direkt an, ihr Gesicht war ruhig, ihr Blick fest.
»Aber wie Ishida mir gesagt hat, ist ein Mann, der Sie begehrt hat, dem Tod entkommen.«
Ihr war, als würde ihr Herz sich winden und springen wie ein Fisch, wenn sein lebendiges Fleisch vom Messer der Köchin durchbohrt wird. Fujiwaras Augen funkelten. Ein kleiner Muskel in seiner Wange zuckte. Er schaute weg von ihr in den Schnee. Er fragt, was nicht gefragt werden sollte, erkannte Kaede, ich werde es ihm sagen, aber er wird einen Preis dafür zahlen. Als sie seine Schwäche sah, wurde sie sich der eigenen Macht bewusst. Ihr Mut kehrte zurück.
»Wer war es?«, flüsterte er.
Die Nacht war still bis auf das leise Schneetreiben, den Wind in den Kiefern, das Murmeln des Wassers.
»Lord Otori Takeo«, sagte sie.
»Ja, nur er konnte es sein«, entgegnete er und sie fragte sich, was sie zuvor ungewollt verraten hatte und was er jetzt über Takeo wusste. Er beugte sich vor, sein Gesicht war jetzt im Lampenlicht. »Erzählen Sie mir davon.«
»Ich könnte Ihnen viel erzählen«, sagte sie langsam. »Über den Verrat an Lord Shigeru und seinen Tod, über Lord Takeos Rache und was in der Nacht geschah, als Iida starb und Inuyama besiegt wurde. Aber jede Geschichte hat ihren Preis. Was werden Sie mir dafür geben?«
Er lächelte und sagte in verschwörerischem Ton: »Was wünscht Lady Shirakawa?«
»Ich brauche Geld, um Soldaten anzuwerben und auszustatten, und Lebensmittel für meinen Haushalt.«
Er lachte beinah. »Die meisten Frauen Ihres Alters würden um einen neuen Fächer oder ein Gewand bitten. Aber Sie überraschen mich immer wieder.«
»Akzeptieren Sie meinen Preis?« Sie spürte, dass sie durch Kühnheit nichts zu verlieren hatte.
»Ja, ich bin einverstanden. Für Iida Geld, für Shigeru Reisbündel. Und für den Lebenden - ich nehme an, er lebt noch -, was soll ich Ihnen für Takeos Geschichte zahlen?«
Sein Ton veränderte sich bei der Nennung des Namens, als schmeckte er ihn im Mund, und wieder fragte sie sich, was er über Takeo gehört hatte.
»Unterrichten Sie mich«, sagte sie. »Es gibt so vieles, was ich wissen muss. Unterrichten Sie mich, als wäre ich ein Junge.«
Zustimmend senkte er den Kopf. »Es wird ein Vergnügen sein, die Unterweisungen Ihres Vaters fortzusetzen.«
»Aber alles muss ein Geheimnis zwischen uns bleiben. Wie die Schätze Ihrer Sammlung darf nichts preisgegeben werden. Ich werde diese Dinge nur Ihnen enthüllen. Niemandem sonst dürfen sie je
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