Der Pfad im Schnee
erzählt werden.«
»Das macht sie nur noch kostbarer, noch wünschenswerter.«
»Niemand sonst hat sie je gehört«, flüsterte Kaede. »Und wenn ich sie Ihnen erzählt habe, werde ich nie wieder davon sprechen.«
Der Wind hatte etwas aufgefrischt und ein Schneeschauer ging auf die Veranda nieder, die Flocken zischten, als sie auf die Lampen und Kohlenpfannen fielen. Kaede spürte, wie die Kälte über sie kroch und der Kälte ihres Herzens und ihrer Stimmung entsprach. Sie hätte Fujiwara gern verlassen, aber sie wusste, dass sie sich erst entfernen konnte, wenn er sie entließ.
»Sie frieren.« Er klatschte in die Hände. Die Diener kamen aus den Schatten, halfen Kaede beim Aufstehen und nahmen ihr den schweren Pelz ab.
»Ich bin gespannt auf Ihre Geschichten.« Er wünschte ihr mit ungewöhnlicher Herzlichkeit eine gute Nacht. Doch Kaede überlegte, ob sie nicht gerade einen Pakt mit einem Dämon aus der Hölle geschlossen hatte. Sie hoffte, dass er sie nicht bitten würde, ihn zu heiraten. Sie würde ihm niemals erlauben, sie in diesem luxuriösen schönen Haus gefangen zu halten, verborgen wie ein Schatz und nur für seine Blicke bestimmt.
Am Ende der Woche kehrte sie nach Hause zurück. Der erste Schnee war geschmolzen und gefroren, die Straße war vereist, aber befahrbar. Eiszapfen hingen von den Simsen der Häuser und tropften glitzernd und strahlend in der Sonne. Fujiwara hatte Wort gehalten. Er war ein strenger und anspruchsvoller Lehrer, und er hatte ihr Aufgaben gegeben, damit sie üben konnte, bevor sie wieder zu ihm kam. Nahrungsmittel für ihren Haushalt und ihre Soldaten hatte er bereits abgeschickt.
Sie hatten die Tage mit Lernen und die Nächte mit Geschichtenerzählen verbracht. Instinktiv wusste sie, was er hören wollte, und berichtete ihm Einzelheiten, an die sie sich zu ihrem Erstaunen erinnerte: die Farben von Blumen, den Gesang der Vögel, die genaue Wetterlage, die Berührung einer Hand, der Geruch eines Gewands, die Art, wie das Licht einer Lampe auf ein Gesicht gefallen war. Und die Unterströmungen von Begehren und Verschwörung, von denen sie gewusst und doch nicht gewusst hatte und die ihr erst jetzt beim Erzählen bewusst wurden. Sie erzählte ihm alles mit klarer, bedächtiger Stimme, wobei sie weder Scham noch Trauer oder Bedauern zeigte.
Er ließ sie nur ungern nach Hause zurückkehren, doch sie entschuldigte sich mit ihren Schwestern. Er wollte, dass sie für immer blieb; sie wusste das und kämpfte schweigend gegen diesen Wunsch. Doch es sah aus, als ob alle ihn teilten. Die Diener erwarteten es und behandelten sie etwas anders. Sie erfüllten ihre Wünsche, als wäre sie bereits mehr als ein besonders geschätzter Gast. Sie baten um ihre Erlaubnis, ihre Meinung, und Kaede wusste, dass ihnen das befohlen worden war.
Sie verließ Fujiwara mit großer Erleichterung und fürchtete sich davor, erneut zurückzukehren. Doch als sie zu Hause war und das Feuerholz, das Geld und die Nahrungsmittel sah, die er geschickt hatte, war sie dankbar, dass er ihre Familie vor dem Verhungern bewahrte. In dieser Nacht dachte sie: Ich sitze in der Falle. Ich werde ihm nie entkommen. Aber was kann ich sonst tun?
Es dauerte lange, bis sie einschlief, und am nächsten Morgen stand sie spät auf. Shizuka war nicht im Zimmer, als sie erwachte. Kaede rief sie und Ayame kam mit Tee herein.
Sie goss Kaede eine Schale ein. »Shizuka ist bei Kondo«, sagte sie. »Er ist gestern Abend spät zurückgekommen.«
»Schick sie zu mir.« Kaede betrachtete den Tee, als wusste sie nicht, was sie damit tun sollte. Sie trank einen Schluck, stellte die Schale auf das Tablett und griff dann wieder danach. Ihre Hände waren eiskalt. Sie hielt die Schale darin und versuchte sie zu wärmen.
»Lord Fujiwara hat diesen Tee geschickt«, sagte Ayame. »Eine ganze Kiste davon. Ist er nicht köstlich?«
»Hol Shizuka!«, rief Kaede zornig. »Sag ihr, sie soll sofort zu mir kommen!«
Ein paar Minuten darauf trat Shizuka ins Zimmer und kniete sich vor Kaede. Ihr Gesicht war ernst.
»Was ist los?«, fragte Kaede. »Ist er tot?« Die Schale zitterte in ihren Händen, sie verschüttete Tee.
Shizuka nahm ihr die Schale ab und hielt ihre Hände fest. »Sie sollen sich nicht aufregen. Sie dürfen nicht krank werden. Er ist nicht tot. Aber er hat den Stamm verlassen, und deshalb gibt es eine Verordnung gegen ihn.«
»Was bedeutet das?«
»Erinnern Sie sich, was ich Ihnen in Terayama erzählt habe? Wenn er nicht mit den
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