Der Pfad im Schnee
werden.
»Ich muss eine Zeit lang verreisen«, sagte sie bei ihrem letzten Besuch zu Fujiwara. »Lord Arai hat mich aufgefordert, nach Inuyama zu kommen.«
»Werden Sie ihn um seine Heiratserlaubnis bitten?«
»Das muss mit ihm besprochen werden, bevor ich eine Entscheidung treffen kann«, murmelte sie.
»Dann werde ich Sie gehen lassen.« Er verzog leicht die Lippen, aber das Lächeln erreichte nicht die Augen.
Im vergangenen Monat hatte sie alles vorbereitet, auf Tauwetter gewartet und war dankbar für Fujiwaras Geld gewesen. Innerhalb einer Woche brach sie an einem kalten, strahlenden Morgen auf, an dem die Sonne zwischen jagenden Wolken auftauchte und verschwand und der Ostwind scharf und erfrischend blies. Hana hatte darum gebeten, sie begleiten zu dürfen, und zuerst hatte Kaede sie mitnehmen wollen. Aber dann wuchs in ihr die Angst, Arai könnte ihre Schwester als Geisel behalten, wenn sie in Inuyama waren. Ihre Schwester war im Augenblick zu Hause besser aufgehoben. Sie gestand sich kaum selbst ein, dass sie vielleicht gar nicht weiter in die Hauptstadt reisen würde, wenn Takeo sich in Terayama aufhielt. Ai wollte nicht mit und Kaede ließ ihre Geisel Mitsuru als Garant ihrer eigenen Sicherheit bei Shoji.
Sie nahm Kondo, Amano und sechs weitere Männer mit. Sie wollte rasch vorankommen, immer war sie sich bewusst, wie kurz ein Leben sein konnte und wie kostbar jede Stunde war. Sie zog Männerkleidung an und ritt Raku. Er hatte den Winter gut überstanden, kaum Gewicht verloren und trabte mit einem Eifer los, der ihrem eigenen entsprach. Schon verlor er das Winterfell und raue graue Haare hingen an ihren Kleidern.
Shizuka begleitete sie, außerdem eine Dienerin aus dem Haus, Manami. Shizuka hatte beschlossen, bis Terayama mitzureisen und dann, während Kaede zur Hauptstadt ritt, zum Haus ihrer Großeltern in den Bergen hinter Yamagata zu gehen, um ihre Söhne zu besuchen. Manami war eine vernünftige und praktische Frau, die es bald übernahm, sich um die Mahlzeiten und Übernachtungen in den Gasthäusern an der Straße zu kümmern, wo sie warmes Essen und Wasser verlangte, über Preise stritt, Gastwirte einschüchterte und sich immer durchsetzte.
»Ich brauche mir keine Gedanken zu machen, wer für Sie sorgt, wenn ich Sie verlasse«, sagte Shizuka am dritten Abend, nachdem sie gehört hatten, wie Manami den Gastwirt beschimpfte, weil er schlechtes Bettzeug voller Flöhe zur Verfügung stellte. »Manamis Zunge würde wahrscheinlich sogar einen Menschenfresser vor Schreck erstarren lassen.«
»Du wirst mir fehlen«, sagte Kaede. »Ich glaube, du bist mein Mut. Ich weiß nicht, wie tapfer ich sein kann ohne dich. Und wer wird mir sagen, was wirklich vorgeht hinter all den Lügen und Vorspiegelungen?«
»Ich glaube, Sie können das selbst gut unterscheiden«, entgegnete Shizuka. »Außerdem ist Kondo bei Ihnen. Sie werden ohne mich einen besseren Eindruck auf Arai machen.«
»Was habe ich von ihm zu erwarten?«
»Er hat immer für Sie Partei ergriffen. Er wird sich auch weiter für Sie einsetzen. Er ist großzügig und loyal, außer wenn er fürchtet, beleidigt oder getäuscht worden zu sein.«
»Aber ich dachte, er ist impulsiv«, sagte Kaede.
»Ja, bis zur Unbesonnenheit. Er ist ein Heißsporn in jedem Wortsinn, leidenschaftlich und starrköpfig.«
»Hast du ihn sehr geliebt?«
»Ich war noch ein Mädchen. Er war mein erster Liebhaber. Ich war sehr in ihn verliebt und er muss mich auf seine Weise geliebt haben. Vierzehn Jahre lang blieb er bei mir.«
»Ich werde ihn bitten, dir zu vergeben«, rief Kaede.
»Ich weiß nicht, was ich mehr fürchte, seine Vergebung oder seinen Zorn«, gab Shizuka zu und dachte dabei an Dr. Ishida und die diskrete, völlig befriedigende Affäre, die sie den ganzen Winter über gehabt hatten.
»Dann sollte ich dich vielleicht gar nicht erwähnen.«
»Es ist gewöhnlich besser, nichts zu sagen«, stimmte Shizuka zu. »Überhaupt wird sein Hauptanliegen Ihre Heirat sein und die Bündnisse, die dadurch zu Stande kommen können.«
»Ich werde nicht heiraten, bevor ich mir Maruyama gesichert habe«, erklärte Kaede. »Zuerst muss er mir dabei helfen.«
Aber zuerst muss ich Takeo sehen, dachte sie. Wenn er nicht in Terayama ist, werde ich ihn vergessen. Es wird ein Zeichen sein, dass er mir nicht bestimmt ist. Oh, gnädiger Himmel, lass ihn dort sein!
Wo die Straße zur Bergkette anstieg, hatte es weniger getaut. Schneewehen bedeckten stellenweise immer noch die
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