Der Pfad im Schnee
Mundart. Yuki nannte sie »Tantchen«. Die andere war eher eine Dienerin. Sie putzte und bereitete fast alle Mahlzeiten zu, war am Morgen als Erste auf und am Abend die Letzte, die schlafen ging. Sie redete sehr wenig, mit leiser Stimme und nördlichem Dialekt. Sie hieß Sadako. Jeder im Haushalt drangsalierte sie und nutzte sie aus; ihre Reaktionen waren immer zurückhaltend und respektvoll. Ich hatte das Gefühl, diese Frauen zu kennen, obwohl mir keine von ihnen je vor Augen gekommen war.
Akio und die drei anderen Männer schliefen in einer Mansarde im Dachgeschoss über dem Laden. Nachts verstärkten sie abwechselnd die Wachen hinter dem Haus. Akio war in der Nacht zuvor an der Reihe gewesen und ich hatte darunter leiden müssen, denn wenn er nicht genug geschlafen hatte, wurde sein Spott besonders verletzend. Bevor die Dienerin zu Bett ging und die Lichter gelöscht wurden, konnte ich hören, wie mal der eine oder mal der andere Mann ihr beim Schließen der Türen und der äußeren Läden half und wie die Holzrahmen an ihren Platz glitten mit einem dumpfen Poltern, auf das die Hunde unweigerlich mit Gebell antworteten.
Jeder der drei Hunde hatte seine eigene unverwechselbare Stimme. Derselbe Mann fütterte sie jeden Abend; dabei pfiff er nach ihnen durch die Zähne auf eine besondere Art, die ich übte, wenn ich allein war und froh darüber, dass niemand sonst so scharf hören konnte wie die Kikuta.
Die vorderen Haustüren waren nachts verriegelt und die hinteren bewacht, doch eine kleinere Tür blieb unverschlossen. Sie führte in einen engen Raum zwischen Haus und äußerer Mauer, an dessen Ende der Abort war. Ich wurde drei- oder viermal täglich dorthin begleitet. Ein paarmal war ich nach Einbruch der Dunkelheit im Hof gewesen, um im Badehaus im Hinterhof zwischen dem Haus und den Toren zu baden. Dass ich versteckt gehalten wurde, geschah, wie Yuki gesagt hatte, zu meiner eigenen Sicherheit. Meiner Meinung nach rechnete niemand ernsthaft damit, dass ich fliehen wollte. Ich wurde nicht bewacht.
Lange lag ich da und horchte auf die Geräusche des Hauses. Ich konnte die Frauen im Zimmer unten atmen hören, die Männer unter dem Dach. Jenseits der Mauern wurde es in der Stadt allmählich ruhig. Ich hatte mich inzwischen in einen Zustand versetzt, den ich von früher bereits kannte. Ich konnte ihn nicht erklären, aber er war mir so vertraut wie meine Haut. Ich empfand weder Furcht noch Erregung. Mein Hirn war ausgeschaltet. Ich bestand nur aus Instinkt, Instinkt und Ohren. Die Zeit veränderte und verlangsamte sich. Es war unwichtig, wie lange ich brauchte, um die Tür des verborgenen Raums zu öffnen. Ich wusste, dass es mir schließlich gelingen würde, und es würde mir geräuschlos gelingen. Genauso, wie ich lautlos zur äußeren Tür kommen würde.
Ich stand an dieser äußeren Tür und registrierte jeden Laut um mich herum, da hörte ich Schritte. Kenjis Frau war aufgestanden, durchquerte das Zimmer, in dem sie geschlafen hatte, und ging zu dem geheimen Raum. Die Tür glitt auf, ein paar Sekunden verstrichen. Die Frau kam aus dem Zimmer und ging mit einer Lampe in der Hand schnell, aber nicht besorgt auf mich zu. Kurz dachte ich daran, unsichtbar zu werden, aber ich wusste, dass es keinen Zweck hatte. Sie würde mich sehr wahrscheinlich sehen und, wenn ihr das nicht gelang, alle im Haus alarmieren.
Wortlos machte ich eine Kopfbewegung zur Aborttür hin und ging zurück zum verborgenen Zimmer. Als ich an ihr vorbeikam, war mir bewusst, dass sie mich nicht aus den Augen ließ. Auch sie sagte nichts, nickte mir nur zu, doch ich spürte, dass sie von meinem Ausflugsversuch gewusst hatte.
Das Zimmer war stickiger denn je. Schlaf schien jetzt unmöglich. Ich befand mich noch immer im Zustand stiller Instinktbezogenheit. Ich versuchte ihr Atmen zu erkennen, konnte es jedoch nicht hören. Schließlich sagte ich mir, dass sie wieder schlafen musste. Ich stand auf, öffnete langsam die Tür und ging hinaus. Die Lampe brannte noch. Kenjis Frau saß daneben. Sie hatte die Augen geschlossen, öffnete sie dann aber und sah mich vor sich stehen.
»Gehst du wieder pissen?«, fragte sie mit ihrer tiefen Stimme.
»Ich kann nicht schlafen.«
»Setz dich. Ich mache Tee.« Mit einer einzigen Bewegung kam sie auf die Füße - trotz ihres Alters und ihres Umfangs war sie geschmeidig wie ein Mädchen. Sie legte mir die Hand auf die Schulter und drückte mich sanft hinunter auf die Matte.
»Lauf nicht weg!«, warnte sie
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