Der Pfad im Schnee
Matsue treffen. Es liegt an dir, die Ausbildung mit absolutem Gehorsam hinter dich zu bringen.«
»Wer weiß, wann ich dich wiedersehe?«, sagte Kenji und betrachtete mich wie gewöhnlich mit einer Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung. »Meine Arbeit an dir ist getan«, fuhr er fort. »Ich habe dich gefunden, dich unterrichtet, dich irgendwie am Leben erhalten und dich zum Stamm zurückgebracht. Du wirst feststellen, dass Akio strenger ist, als ich es war.« Er grinste und zeigte seine Zahnlücken. »Aber Yuki wird sich um dich kümmern.«
Das sagte er auf eine Art, die mir das Blut ins Gesicht trieb. Wir hatten nichts getan, hatten uns noch nicht einmal berührt, doch etwas existierte zwischen uns und Kenji hatte es gemerkt.
Beide Meister grinsten, als sie aufstanden und mich umarmten. Kenji gab mir einen Klaps auf den Kopf. »Tu, was man dir sagt. Und lerne, wie man jongliert.«
Ich wünschte, wir hätten allein miteinander reden können. Zwischen uns war immer noch so vieles ungelöst. Doch vielleicht war es besser, dass er sich von mir verabschiedete wie ein liebevoller Lehrer, dem ich entwachsen war. Außerdem verschwendet der Stamm, wie ich noch lernen sollte, keine Zeit mit der Vergangenheit und wird nicht gern damit konfrontiert.
Als sie gegangen waren, kam mir das Zimmer düsterer vor denn je, stickig und muffig. Ich hörte die Geräusche ihrer Abreise durchs ganze Haus. Die ausführlichen Vorbereitungen, der lange Abschied der meisten Reisenden waren nichts für sie. Kenji und Kotaro gingen einfach aus der Tür und alles, was sie unterwegs brauchten, trugen sie in den Händen - leichte Bündel, in Tücher verpackt, ein Reservepaar Sandalen, ein paar Reiskuchen, mit gesalzenen Pflaumen gewürzt. Ich dachte an sie und die Straßen, die sie gegangen sein mussten, ich spürte ihrem Weg nach durch die Drei Länder und darüber hinaus, nach allem, was ich wusste, wie sie dem ausgedehnten Netz des Stamms von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt folgten. Überall würden sie Verwandte finden; nie würden sie ohne Obdach oder Schutz sein.
Ich hörte Yuki sagen, sie wolle sie bis zur Brücke begleiten, und hörte die Antwort der Frau, die wütend auf die Soldaten gewesen war.
»Gebt Acht auf euch«, rief die Frau ihnen nach. Die Schritte verklangen auf der Straße.
Das Zimmer wirkte noch deprimierender und verlassener. Ich konnte mir nicht vorstellen, eine Woche lang hier eingesperrt zu sein. Fast unbewusst plante ich bereits, wie ich es verlassen könnte. Nicht um zu fliehen. Ich hatte mich damit abgefunden, bei dem Stamm zu bleiben. Nur um hinauszukommen. Teils um wieder Yamagata bei Nacht zu sehen, teils um herauszufinden, ob ich es schaffte.
Kurz darauf hörte ich jemanden kommen. Die Tür wurde aufgeschoben und eine Frau trat ein. Sie trug ein Tablett mit einer Mahlzeit: Reis, eingelegtes Gemüse, ein kleines Stück getrockneten Fisch, eine Schale Suppe. Sie kniete nieder und stellte das Tablett auf den Boden.
»Hier, iss, du musst hungrig sein.«
Ich war völlig ausgehungert. Der Geruch der Speisen machte mich schwindlig. Ich fiel darüber her wie ein Wolf. Sie saß da und schaute mir zu.
»Du bist es also, der meinem armen alten Mann so viel Ärger gemacht hat«, sagte sie, als ich die letzten Reiskörner aus der Schale fischte.
Kenjis Frau. Ich schaute sie rasch an und begegnete ihrem Blick. Ihr Gesicht war glatt, so bleich wie seines und ihm auch so ähnlich, wie das bei vielen lange verheirateten Paaren festzustellen ist. Ihr Haar war noch dicht und schwarz, nur wenige weiße Strähnen zeigten sich am Scheitel. Sie war untersetzt und kräftig, eine richtige Städterin mit viereckigen, kurzfingrigen geschickten Händen. Nur eine Bemerkung von Kenji über sie fiel mir ein: Sie sei eine gute Köchin, und tatsächlich war das Essen köstlich.
Ich sagte es ihr, und als sich ihr Lächeln von den Lippen bis zu den Augen ausdehnte, sah ich sofort, dass sie Yukis Mutter war. Beider Augen hatten die gleich Form, und wenn sie lächelte, war der Ausdruck der gleiche.
»Wer hätte gedacht, dass du nach all diesen Jahren auftauchen würdest«, fuhr sie fort, es klang redselig und mütterlich. »Deinen Vater Lamu kannte ich gut. Und niemand wusste etwas über dich bis zu diesem Vorfall mit Shintaro. Allein der Gedanke, dass du den gefährlichsten Attentäter in den Drei Ländern hören und überlisten kannst! Die Familie Kikuta war entzückt darüber, dass Isamu einen Sohn hinterlassen hat. Wir alle waren
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