Der Pfad im Schnee
hoben sie sich gegen die dunkelgrünen Zedern und den blauen Himmel ab. Kaedes Sinne waren durch ihre Schwangerschaft geschärft, und als sie aus der Sänfte in den Garten der Fujiwararesidenz trat, beeindruckte die Schönheit vor ihr sie tief. Es war ein vollendeter Herbstaugenblick, und bald würde er für immer verschwunden sein, von den Stürmen verweht, die heulend aus den Bergen brausten.
Das Haus war größer als ihr eigenes und in viel besserem Zustand. Wasser floss durch den Garten, es rann über alte Steine und durch Teiche, in denen goldene und rote Karpfen träge schwammen. Die Berge schienen direkt aus dem Garten zu ragen und ein ferner Wasserfall wiederholte Bild und Geräusch des Bachs. Zwei große Adler flogen am wolkenlosen Himmel.
Ein junger Mann begrüßte sie an der Treppe und führte sie über eine breite Veranda zum Hauptraum, wo Lord Fujiwara bereits saß. Kaede trat in den Eingang, sank auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. Die Matten waren frisch und neu, die Farbe noch hellgrün, der Duft würzig.
Shizuka blieb draußen, sie kniete sich auf den Holzboden. Im Raum herrschte Stille. Kaede wartete darauf, dass Fujiwara etwas sagte, sie wusste, dass er sie musterte, und versuchte so viel wie möglich vom Raum zu sehen, ohne Augen oder Kopf zu bewegen. Es war eine Erleichterung, als er sie endlich ansprach und bat, sich aufzusetzen.
»Ich freue mich sehr, dass Sie kommen konnten«, sagte er und sie tauschten Förmlichkeiten aus, wobei sie sich um eine weiche und leise Stimme bemühte, während er eine so blumige Sprache gebrauchte, dass sie manchmal die Bedeutung der Worte nur erraten konnte. Sie hoffte, er würde sie rätselhaft und nicht langweilig finden, wenn sie so wenig wie möglich sagte.
Der junge Mann kam mit Teeutensilien zurück und Fujiwara bereitete selbst den Tee, wobei er das grüne Pulver zu einem schäumenden Gebräu aufschlug. Die Schalen waren rau, rosabraun gefärbt und angenehm für Augen und Hand. Bewundernd drehte Kaede die ihre.
»Das kommt aus Hagi«, sagte er. »Aus Lord Otoris Heimatstadt. Es ist mein liebstes Teeservice.« Nach einem Augenblick fragte er: »Werden Sie dorthin gehen?«
Natürlich sollte ich das, dachte Kaede überstürzt. Wenn er wirklich mein Mann gewesen wäre und ich sein Kind trüge, würde ich in sein Haus, zu seiner Familie gehen.
»Das kann ich nicht«, sagte sie einfach und schaute ihn an. Wie immer trieb die Erinnerung an Shigerus Tod, die Rolle, die sie dabei und in dem darauf folgenden Racheakt gespielt hatte, ihr Tränen in die Augen und ließen sie dunkel schimmern.
»Es gibt immer Gründe«, sagte er unbestimmt. »Nehmen Sie meine Lage. Mein Sohn, das Grab meiner Frau befinden sich in der Hauptstadt. Vielleicht haben Sie davon nichts gehört: Ich wurde aufgefordert zu gehen. Meine Schriften missfielen dem Regenten. Ich war bereits im Exil, da wurde die Stadt von zwei schweren Erdbeben und einer Reihe von Bränden heimgesucht. Das hielt man allgemein für den Unwillen des Himmels über diese ungerechte Behandlung eines harmlosen Gelehrten. Gebete wurden gesprochen, und man bat mich zurückzukehren, aber gegenwärtig gefällt mir mein Leben hier, und ich habe Gründe, nicht sofort zu gehorchen, obwohl ich es natürlich irgendwann tun muss.«
»Lord Shigeru ist ein Gott geworden«, sagte sie. »Hunderte von Menschen gehen täglich zu seinem Schrein in Terayama, um dort zu beten.«
»Lord Shigeru ist jedoch zu unser aller Bedauern tot und ich bin noch sehr lebendig. Für mich ist es zu früh, ein Gott zu werden.«
Er hatte ihr etwas von sich erzählt und jetzt fühlte sie sich ermutigt, das Gleiche zu tun. »Seine Onkel wollten, dass er stirbt«, sagte sie. »Deshalb werde ich nicht zu ihnen gehen.«
»Ich weiß wenig über den Clan der Otori«, sagte er, »abgesehen von den schönen Tonwaren, die sie in Hagi herstellen. Sie haben den Ruf, sich dort zu verstecken. Ich glaube, die Stadt ist ziemlich unzugänglich. Und sie haben irgendeine sehr alte Verbindung zur kaiserlichen Familie.« Sein Plauderton klang fast scherzhaft, veränderte sich aber leicht, als Fujiwara weitersprach. Kaede stellte wieder die gleiche emotionale Intensität fest, die ihr schon zuvor aufgefallen war. »Verzeihen Sie mir, wenn ich zu persönlich werde, aber wie ist Lord Shigeru gestorben?«
Sie hatte so wenig von den schrecklichen Ereignissen in Inuyama erzählt, dass sie ihm jetzt gern ihr Herz ausgeschüttet hätte, doch sie spürte, wie
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