Der Pfad im Schnee
Gesicht Zorn zu sehen, doch er presste nur die Lippen aufeinander und sagte nichts.
Weil die Männer früher ihrem Vater gedient hatten und sie das respektierte, erlaubte sie den Familien der Toten, die Leichen zu holen und zu beerdigen. Doch weil die beiden ihr gegenüber ungehorsam gewesen waren, befahl sie Kondo, die Angehörigen aus ihren Häusern zu jagen und ihr Land zum Herrschaftsbesitz zu machen.
»Es war das einzig Richtige«, sagte Shizuka zu ihr. »Wenn die beiden am Leben geblieben wären, hätten sie hier Unruhe gestiftet oder wären zu Ihren Feinden übergelaufen.«
»Wer sind meine Feinde?«, fragte Kaede. Es war spät am Abend. Sie saßen in Kaedes Lieblingszimmer. Die Läden waren geschlossen, aber die Kohlenpfannen erwärmten die kühle Nachtluft kaum. Sie zog die gesteppten Gewänder enger um sich. Aus dem Hauptzimmer kamen die Gesänge der Priester, die bei dem Toten Wache hielten.
»Lady Maruyamas Stieftochter ist mit einem Vetter von Lord Iida verheiratet, mit Nariaki. Sie werden Ihre Hauptrivalen beim Anspruch auf die Domäne sein.«
»Aber die meisten Seishuu hassen die Tohan«, entgegnete Kaede. »Ich glaube, sie werden mich willkommen heißen. Ich bin schließlich die rechtmäßige Erbin und die nächste Blutsverwandte von Lady Maruyama.«
»Niemand bestreitet Ihren Rechtsanspruch«, sagte Shizuka. »Aber Sie werden kämpfen müssen, um Ihr Erbe zu bekommen. Können Sie sich nicht mit Ihrer eigenen Domäne hier in Shirakawa zufrieden geben?«
»Ich habe so wenige Gefolgsleute und sie sind so schlecht bewaffnet«, sagte Kaede nachdenklich. »Schon um Shirakawa zu halten, brauche ich eine kleine Armee. Die kann ich mir bei den wirtschaftlichen Verhältnissen hier nicht leisten. Ich brauche den Reichtum von Maruyama. Wenn die Trauerzeit vorbei ist, musst du jemanden zu Lady Naomis Hauptverwalter schicken, zu Sugita Haruki. Du weißt, wer er ist; wir haben ihn auf der Reise nach Tsuwano kennen gelernt. Lass uns hoffen, dass er noch für die Domäne verantwortlich ist.«
»Ich muss jemanden schicken?«
»Du oder Kondo. Einen eurer Spione.«
»Sie wollen den Stamm einsetzen?«, fragte Shizuka überrascht.
»Du bist bereits bei mir angestellt«, antwortete Kaede. »Jetzt möchte ich deine Fähigkeiten einsetzen.« Sie wollte Shizuka über vieles genauer befragen, doch sie war erschöpft und spürte ein Ziehen in Bauch und Schoß. Morgen oder übermorgen werde ich mit ihr reden, nahm sie sich vor, aber jetzt muss ich mich hinlegen.
Ihr Rücken schmerzte; als sie endlich im Bett war, kam sie nicht zur Ruhe und fand keinen Schlaf. Sie hatte den ganzen schrecklichen Tag überstanden und war noch am Leben, doch jetzt, wo das Haus still war und das Weinen und Singen verstummt, überkam sie eine tiefe Angst. Die Worte ihres Vaters klangen ihr in den Ohren. Sein Gesicht, die Gesichter der toten Männer erschienen drohend vor ihren Augen. Sie fürchtete, ihre Geister würden versuchen, ihr Takeos Kind zu rauben. Schließlich schlief sie ein, mit den Armen umklammerte sie ihren Bauch.
Sie träumte, dass ihr Vater sie angriff. Er zog den Dolch aus dem Gürtel, doch statt ihn in den eigenen Bauch zu stoßen, kam er auf sie zu, legte die Hand auf ihren Nacken und stieß den Dolch tief in sie. Ein unerträglicher Schmerz durchfuhr sie, mit einem Schrei wachte sie auf. Der Schmerz brandete erneut rhythmisch durch ihren Körper, ihre Beine waren schon voller Blut.
Das Begräbnis ihres Vaters fand ohne sie statt. Das Kind glitt aus ihrem Bauch wie ein Aal und das Blut ihres Lebens folgte. Dann kam Fieber, tauchte alles in Rot, ließ ihre Zunge lallen und quälte sie mit grässlichen Phantasien.
Shizuka und Ayame brauten Arznei aus allen Kräutern, die sie kannten, dann zündeten sie verzweifelt Weihrauch an und schlugen Gongs, um die bösen Geister zu bannen, die Kaede in ihrer Gewalt hatten, sie riefen nach Priestern und einem Geistermädchen, das sie vertreiben sollte.
Nach drei Tagen sah es so aus, als könne nichts Kaede retten. Ai wich nicht von ihrer Seite. Sogar Hana war jenseits der Tränen. Um die Stunde der Ziege trat Shizuka aus dem Haus, um frisches Wasser zu holen, als einer der Männer im Wachhaus sie anrief.
»Besucher kommen. Männer zu Pferd und zwei Sänften. Lord Fujiwara, glaube ich.«
»Er darf nicht hereinkommen«, sagte Shizuka. »Das Haus ist von Blut und Tod beschmutzt.«
Die Träger setzten die Sänften vor dem Tor ab und sie fiel auf die Knie, als Fujiwara
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