Der Pfad im Schnee
das Dienstmädchen«, sagte sie dann und stand auf. Sie berührte meinen Nacken, als sie ging, aber ich reagierte nicht darauf. Körperlich waren wir uns auf jeder vorstellbaren Ebene nahe gewesen: Ihre Hände hatten mich massiert und mich zur Strafe geschlagen. Wir hatten Seite an Seite getötet, wir hatten uns geliebt. Aber sie hatte kaum die Oberfläche meines Herzens berührt, und in diesem Augenblick wussten wir es beide.
Ich ließ mir meinen Kummer nicht anmerken, doch innerlich weinte ich um Kaede und das Leben, das wir zusammen gehabt haben könnten. Von Shizuka kam kein weiteres Wort, obwohl ich nie aufhörte, nach Boten zu horchen. Yuki erwähnte das Thema nicht mehr. Ich konnte nicht glauben, dass Kaede tot war, und tagsüber klammerte ich mich an diese Überzeugung, doch die Nächte waren etwas anderes.
Die letzte Farbe verblasste, als die Blätter von Ahorn und Weiden fielen. Schwärme wilder Gänse zogen über den trüben Himmel nach Süden. Boten wurden seltener, als die Stadt sich auf den Winter einstellte. Doch sie kamen immer noch von Zeit zu Zeit mit Neuigkeiten von Stammesaktivitäten, den Kämpfen in den Drei Ländern und stets neuen Anweisungen für unser Gewerbe.
Denn so beschrieben wir unsere Arbeit des Spionierens und Tötens. Ein Gewerbe, bei dem Menschenleben soundso viele Einheiten darstellten. Ich kopierte auch Berichte darüber und saß dabei oft bis spät in die Nacht bei Gosaburo, dem Händler, wenn ich von der Sojabohnenernte zu der anderen, tödlicheren überwechselte. Beide brachten einen schönen Gewinn, obwohl die Sojabohnen unter den Unwettern gelitten hatten, die Morde aber nicht - auch wenn der Kandidat eines Attentats ertrunken war, bevor der Stamm sich mit ihm beschäftigen konnte, und der Streit über die Bezahlung noch nicht abgeschlossen war.
Die rücksichtsloseren Kikuta eigneten sich angeblich besser für Attentate als die Muto, die traditionell die tüchtigsten Spione waren. Diese beiden Familien bildeten die Aristokratie des Stamms; die anderen drei, Kuroda, Kudo und Imai, erledigten niedrigere, stumpfsinnigere Arbeiten als Diener, kleine Diebe, Informanten und so weiter. Weil die traditionellen Fähigkeiten so geschätzt wurden, gab es viele Heiraten zwischen Muto und Kikuta, weniger zwischen ihnen und den anderen Familien, obwohl die Ausnahmen oft Genies wie den Mörder Shintaro hervorbrachten.
Wenn die Buchhaltung erledigt war, gab mir Kikuta Gosaburo Unterricht in Genealogie und erklärte die komplizierten Beziehungen des Stamms, die sich wie das Netz einer Herbstspinne über die Drei Länder, in den Norden und darüber hinaus spannten. Gosaburo war ein dicker Mann mit weibischem Doppelkinn und glattem, rundem Gesicht, das täuschend sanft aussah. Gärungsgeruch hing ihm an Kleidern und Haut. Wenn er gut gelaunt war, rief er nach Wein und ging von der Genealogie zur Geschichte über - der Stammesgeschichte meiner Vorfahren. Wenig hatte sich in Jahrhunderten verändert. Kriegsherren stiegen auf und stürzten, Clans blühten und verschwanden, doch das Gewerbe des Stamms ging in allen wichtigen Bereichen des Lebens seinen immer gleichen Gang. Aber jetzt wollte Arai eine Veränderung bewirken. Alle anderen mächtigen Kriegsherren arbeiteten mit dem Stamm zusammen. Nur Arai wollte ihn zerstören.
Gosaburos Kinn schwabbelte vor Lachen über den Gedanken.
Zuerst wurde ich nur als Spion eingesetzt, sollte in Tavernen und Teehäusern Gespräche belauschen, nachts über Mauern und Dächer klettern und hören, was Männer ihren Söhnen oder Frauen anvertrauten. Ich hörte von den Geheimnissen und Ängsten der Städter, den Strategien des Clans der Yoshida für den Frühling, von den Bedenken im Schloss wegen Arais Absichten jenseits der Grenzen und wegen der Bauernaufstände nahe der Heimat. Ich ging in die Bergdörfer, belauschte diese Bauern und identifizierte die Rädelsführer.
Eines Nachts schnalzte Gosaburo missbilligend mit der Zunge über eine lange überfällige Rechnung. Es waren nicht nur keine Zahlungen eingegangen, der Kunde hatte weitere Waren bestellt. Der Mann hieß Furoda, ein Krieger von niederem Rang, der jetzt Landwirtschaft betrieb, um seine große Familie und seine Vorliebe für die guten Dinge im Leben zu finanzieren. Unter seinem Namen sah ich die Symbole, die zeigten, welche zunehmend härteren Einschüchterungsmaßnahmen bereits gegen ihn angewandt worden waren: ein Scheunenbrand, Entführung einer Tochter, Prügel für einen Sohn, Tötung
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