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Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Verbindung hatte, deshalb war ich uninteressant für sie.
    Ich sagte also nichts, doch ich horchte. Ich hörte von Plänen für die Frühjahrsturniere, von Hoffnungen und Wünschen der Ringer, hörte die Witze, die von den Masseuren geflüstert wurden, die Vorschläge, die gemacht, zurückgewiesen oder angenommen wurden. Und viel später, als Aldo mich ins Bett geschickt hatte und ich bereits auf einer Matte im Schlafsaal lag, hörte ich ihn und Hajime im Zimmer darunter. Sie wollten noch eine Zeit lang zusammensitzen und trinken, bevor sie sich am nächsten Tag trennten.
    Ich schaltete das Schnarchen der Ringer aus und konzentrierte mich auf die Stimmen unter mir. Durch den Boden konnte ich sie deutlich hören. Ich wunderte mich immer, dass Aldo zu vergessen schien, wie scharf mein Gehör war. Vermutlich wollte er meine Talente nicht anerkennen und unterschätzte mich deshalb. Zuerst hielt ich es für eine Schwäche, fast seine einzige; später kam mir der Gedanke, dass es Dinge gab, die er mich hören lassen wollte.
    Das Gespräch war alltäglich - über Hajimes bevorstehendes Training, die Freunde, die sie wiedergesehen hatten -, bis der Wein anfing, die Zungen zu lockern.
    »Ihr geht vermutlich nach Yamagata?«, fragte Hajime.
    »Wahrscheinlich nicht. Der Mutomeister ist noch in den Bergen und das Haus leer.«
    »Ich dachte, Yuki sei zu ihrer Familie zurückgekehrt.«
    »Nein, sie ist in das Kikutadorf im Norden von Matsue gegangen. Dort bleibt sie, bis das Kind geboren ist.«
    »Das Kind?« Hajime klang so entgeistert, wie ich es war.
    Es entstand eine lange Stille. Ich hörte Akio trinken und schlucken. Als er wieder sprach, war seine Stimme wesentlich leiser. »Sie ist schwanger mit dem Kind des Hundes.«
    Hajime zischte durch die Zähne. »Entschuldige, Vetter, ich will dir nicht auf die Nerven fallen, aber gehörte das zum Plan?«
    »Warum nicht?«
    »Ich dachte immer, du und sie… dass ihr irgendwann heiraten würdet.«
    »Wir sind einander versprochen worden, als wir Kinder waren«, sagte Akio. »Wir heiraten vielleicht immer noch. Die Meister wollten, dass sie mit ihm schläft, damit er ruhig bleibt, damit er abgelenkt wird, damit es wenn möglich ein Kind gibt.«
    Wenn es ihn schmerzte, dann zeigte er es nicht. »Ich sollte Argwohn und Eifersucht vortäuschen«, sagte er ausdruckslos. »Wenn der Hund gewusst hätte, dass er manipuliert wird, wäre er vielleicht nie mit ihr gegangen. Nun, ich habe nichts vortäuschen müssen - ich hatte nicht gedacht, dass sie so viel Vergnügen daran haben würde. Ich konnte nicht glauben, wie sie zu ihm war, Tag und Nacht war sie hinter ihm her wie eine läufige Hündin…« Seine Stimme versagte. Ich hörte, wie er einen Becher Wein leerte, und hörte das Klirren und Gurgeln der Flasche, als wieder eingeschenkt wurde.
    »Aber daraus muss Gutes werden«, gab Hajime zu bedenken, seine Stimme hatte wieder etwas von ihrer Fröhlichkeit zurückgewonnen. »Das Kind wird eine seltene Kombination von Talenten erben.«
    »Das glaubt auch der Kikutameister. Und dieses Kind wird von Geburt an bei uns sein. Es wird richtig erzogen werden, ohne die Schwächen des Hundes.«
    »Das sind erstaunliche Neuigkeiten«, sagte Hajime. »Kein Wunder, dass du so nachdenklich warst.«
    »Die meiste Zeit denke ich darüber nach, wie ich ihn töten werde«, gab Akio zu und trank wieder lange.
    »Ist dir das aufgetragen worden?«, fragte Hajime bedrückt.
    »Alles hängt davon ab, was in Hagi passiert. Man kann sagen, es ist seine letzte Chance.«
    »Weiß er das? Dass er geprüft wird?«
    »Wenn er es nicht weiß, wird er es bald merken.« Nach einer langen Pause sagte Akio: »Wenn die Kikuta von seiner Existenz gewusst hätten, dann hätten sie ihn als Kind zu sich geholt und ihn aufgezogen. Aber er wurde durch seine Erziehung und dann durch die Verbindung mit den Otori verdorben.«
    »Sein Vater ist gestorben, bevor er auf die Welt kam. Weißt du, wer ihn getötet hat?«
    »Sie haben Lose gezogen«, flüsterte Akio. »Niemand weiß, wer es tatsächlich getan hat, aber es wurde von der ganzen Familie beschlossen. Das hat mir der Meister in Inuyama erzählt.«
    »Traurig«, murmelte Hajime. »So viel Talent vergeudet.«
    »Es kommt durch die Vermischung des Bluts«, sagte Akio. »Es stimmt, dass dadurch manchmal seltene Talente entstehen, aber sie scheinen mit Dummheit gepaart zu sein. Und die einzige Heilung für Dummheit ist der Tod.«
    Kurz danach kamen sie herauf und gingen zu Bett. Ich lag

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