Der Pfad im Schnee
still bis zum Morgengrauen und gab vor zu schlafen, während mein Verstand die Neuigkeiten sinnlos hin- und herwälzte. Ich war überzeugt, dass Akio jeden Vorwand nutzen würde, mich in Hagi zu töten, egal was ich tat oder versäumte zu tun.
Als wir uns am nächsten Morgen von Hajime verabschiedeten, schaute er mir nicht in die Augen. Seine Stimme hatte eine falsche Fröhlichkeit und er starrte uns missmutig nach. Vermutlich dachte er, dass er mich nie wiedersehen würde.
Wir wanderten drei Tage lang und sprachen kaum miteinander, bis wir an die Grenze kamen, hinter der die Ländereien der Otori begannen. Sie stellte kein Problem für uns dar, weil Akio mit den nötigen Identifikationspapieren ausgestattet war. Er traf auf unserer Reise alle Entscheidungen, wo wir essen, wo wir übernachten, welche Straße wir gehen sollten. Ich folgte ihm einfach. Ich wusste, dass er mich nicht töten würde, bevor wir nach Hagi kamen; er brauchte mich, um in Shigerus Haus und über den Nachtigallenboden zu kommen. Nach einiger Zeit empfand ich ein gewisses Bedauern darüber, dass wir nicht gute Freunde waren, die zusammen reisten. Es kam mir vor wie eine vergeudete Wanderung. Ich sehnte mich nach einem Gefährten, nach jemandem wie Makoto oder meinem alten Freund aus Hagi, Fumio, mit dem ich auf der Straße reden und die Verwirrung meiner Gedanken teilen könnte.
Im Otorigebiet erwartete ich, dass die Landschaft so gepflegt und blühend aussehen würde wie damals, als ich sie zum ersten Mal mit Shigeru bereiste, aber überall waren Zeichen der Verwüstung durch die Unwetter und die anschließende Hungersnot nicht zu übersehen. Viele Dörfer wirkten verlassen, beschädigte Häuser waren nicht wieder in Stand gesetzt worden, hungernde Menschen bettelten am Straßenrand. Ich schnappte Gesprächsfetzen auf, nach denen die Otoriherren jetzt sechzig Prozent der Reisernte verlangten statt der früheren vierzig Prozent, um die Armee zu bezahlen, die sie für den Kampf mit Arai aufbauten, und dass Männer lieber sich und ihre Kinder töten würden, als im Winter langsam zu verhungern.
Früher im Jahr hätten wir die Reise schneller mit einem Boot machen können, doch die Winterstürme peitschten bereits die Küste und jagten schäumende graue Wellen an die schwarzen Ufer. Die Fischer hatten ihre Boote festgemacht, wo immer sie Schutz fanden, oder sie hinauf auf den Kiesstrand gezogen und wohnten mit ihren Familien darin bis zum Frühling. Den Winter hindurch unterhielten die Fischerfamilien Feuer, mit denen sie Salz aus dem Seewasser gewannen. Ein- oder zweimal machten wir Halt, um uns zu wärmen und mit den Leuten zu essen, Akio zahlte mit ein paar kleinen Münzen. Das Essen war spärlich: Salzfisch, Suppe aus Tang, Seeigel und kleine Schalentiere.
Ein Mann bat uns, seine Tochter zu kaufen, nach Hagi mitzunehmen und selbst von ihr Gebrauch zu machen oder sie an ein Bordell zu verkaufen. Sie konnte nicht mehr als dreizehn sein, noch kaum eine Frau. Sie war nicht hübsch, aber ich erinnere mich immer noch an ihr Gesicht, ihre Augen, ängstlich und flehend zugleich, ihre Tränen, ihren erleichterten Blick, als Akio höflich ablehnte, an die verzweifelte Haltung des Vaters, als er sich abwandte.
In dieser Nacht schimpfte Aldo über die Kälte und bedauerte seine Entscheidung. »Sie hätte mich gewärmt«, sagte er mehr als einmal.
Ich dachte an sie, wie sie neben ihrer Mutter schlief und die Wahl hatte zwischen Verhungern und einem Schicksal, das nichts anderes als Sklaverei gewesen wäre. Ich dachte an Furodas Familie, die aus ihrem schäbigen, bequemen Haus verjagt worden war, ich dachte an den Mann, den ich auf seinem geheimen Feld getötet hatte, und an das Dorf, das meinetwegen sterben würde.
Das alles quälte sonst niemanden - so war die Welt nun mal -, aber es verfolgte mich. Und natürlich beschäftigte ich mich jede Nacht mit den Gedanken, die den ganzen Tag in mir gelegen hatten, und überprüfte sie.
Yuki war schwanger mit meinem Kind. Es sollte vom Stamm erzogen werden. Ich würde es wahrscheinlich nie zu sehen bekommen.
Die Kikuta hatten meinen Vater getötet, weil er die Regeln des Stamms gebrochen hatte, und sie würden nicht zögern mich zu töten.
Ich traf keine Entscheidungen und kam zu keinen Schlussfolgerungen. Ich lag einfach lange Nachtstunden hindurch wach, drehte die Gedanken im Kopf hin und her wie schwarze Kiesel in der Hand und betrachtete sie.
Die Berge stürzten bei Hagi direkt ins Meer und wir
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