Der Pfad im Schnee
anzutun? Du hast keinen Respekt, du Mistkerl.«
Kotaro sagte: »Setz dich, Akio.«
Ich richtete wieder den Blick auf ihn, doch er schaute mich nicht an.
»Es tut mir Leid, Meister«, sagte ich leise. »Verzeih mir.«
Wir wussten beide, dass meine Entschuldigung nicht ehrlich war. Er stand schnell auf und überspielte den Moment mit Zorn.
»Seit wir dich fanden, haben wir versucht, dich vor dir selbst zu schützen.« Er hob nicht die Stimme, doch seine Wut war unverkennbar. »Natürlich nicht nur um deinetwillen. Du weißt, welche Talente du hast und wie nützlich sie für uns sein könnten. Aber deine Erziehung, dein gemischtes Blut, dein eigener Charakter - alles arbeitet gegen dich. Ich glaubte, eine Ausbildung hier würde helfen, aber wir haben keine Zeit, sie fortzusetzen. Akio wird mit dir nach Hagi gehen, und du wirst ihm weiter in allem gehorchen. Er ist viel erfahrener als du, er weiß, wo die sicheren Häuser sind, mit wem ihr Kontakt aufnehmen könnt und wem zu trauen ist.«
Er hielt inne, während ich mich zustimmend verbeugte, dann fuhr er fort: »Du und ich haben in Inuyama eine Abmachung getroffen. Du hast es vorgezogen, damals meine Befehle zu missachten und zum Schloss zurückzukehren. Die Folgen von Iidas Tod waren nicht gut für uns. Unter ihm ging es uns weitaus besser als unter Arai. Abgesehen von unseren eigenen Regeln des Gehorsams, die jedes Kind lernt, bevor es sieben wird, hast du dein Leben bereits durch dein eigenes Versprechen an mich verwirkt.«
Ich antwortete nicht. Ich hatte das Gefühl, dass er nahe daran war, mich aufzugeben; seine Geduld mit mir, sein Verständnis, das mich beruhigt und besänftigt hatte, waren erschöpft. Genau wie mein Vertrauen zu ihm. Der schreckliche Verdacht ging mir nicht aus dem Sinn. Sobald er geweckt war, ließ er sich nicht mehr unterdrücken - mein Vater war durch Stammesangehörige ums Leben gekommen, vielleicht sogar von Kotaro selbst getötet worden, weil er versucht hatte, sie zu verlassen. Später erkannte ich, dass sich dadurch viel vom Verhalten der Kikuta mir gegenüber erklärte, etwa ihr Beharren auf meinem Gehorsam, ihre zwiespältige Haltung gegenüber meinen Talenten, ihr Hass auf meine Loyalität für Shigeru, doch damals verstärkte es nur meine Niedergeschlagenheit. Akio hasste mich, ich hatte den Kikutameister beleidigt und angegriffen, Yuki hatte mich verlassen, Kaede war vielleicht tot… ich wollte diese Liste nicht fortsetzen. Mit leerem Blick schaute ich zu Boden, während Kikuta und Akio Einzelheiten der Reise besprachen.
Am nächsten Morgen brachen wir auf. Viele Reisende waren unterwegs, sie nutzten die letzten Wochen vor dem Schneefall und begaben sich zum Neujahrsfest nach Hause. Wir mischten uns unter sie, zwei Brüder, die zu einer Beerdigung in ihre Heimatstadt zurückkehrten. Es fiel mir nicht schwer vorzugeben, dass ich von Kummer überwältigt war. Es schien mein natürlicher Zustand geworden zu sein. Die Finsternis, die mich einhüllte, wurde nur erhellt durch den Gedanken, das Haus in Hagi wiederzusehen und zum letzten Mal sein Winterlied zu hören.
Mein Übungspartner Hajime reiste am ersten Tag mit uns, er war unterwegs zu einer Ringermannschaft, die sich im Winter auf die Frühjahrsturniere vorbereitete. Wir blieben eine Nacht bei den Ringern und teilten mit ihnen das Abendessen. Sie verzehrten riesige Eintöpfe aus Gemüse und Huhn, ein Fleisch, das sie für Glück bringend hielten, weil Hühnerhände nie den Boden berühren, dazu Nudeln aus Reis und Buchweizen. Jeder von ihnen aß mehr als die meisten Familien in einer Woche. Hajime mit seinem gewaltigen Umfang und dem gelassenen Gesichtsausdruck glich ihnen bereits. Er war mit diesem Trainingslager, das natürlich von den Kikuta geleitet wurde, seit seiner Kindheit verbunden und die Ringer behandelten ihn mit scherzhafter Zuneigung.
Vor dem Essen badeten wir mit ihnen in dem weitläufigen dampfenden Badehaus, das über einer kochend heißen Schwefelquelle erbaut war. Masseure und Trainer mischten sich unter die Ringer, sie rieben und schrubbten die massigen Glieder und Rümpfe. Es war, als hätten wir uns zu einem Riesenvolk verirrt. Alle kannten natürlich Aldo und behandelten ihn mit ironischem Respekt, weil er aus der Familie des Chefs kam, gemischt mit freundlichem Spott, weil er kein Ringer war. Über mich wurde nichts gesagt und niemand achtete auf mich. Sie waren von ihrer eigenen Welt in Anspruch genommen, zu der ich offenbar die schwächste
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