Der Pfad im Schnee
nicht das zarte, atemähnliche Fallen des Schnees, es klang härter und mehr nach Hagel.
Seit Tür und Läden geschlossen waren, wurde es wärmer in der Hütte. Meine Kleider fingen an zu dampfen. Ich leerte die Schale und gab sie Makoto zurück. Er füllte sie, nahm einen Schluck und stellte sie auf den Boden.
»Den Winter, den Rest meines Lebens, das, was länger dauert«, sagte er als Antwort auf meine Frage, schaute mich an, schaute zu Boden. »Es fällt mir schwer, mit dir darüber zu reden, Takeo, weil so viel davon dich betrifft, doch der Erleuchtete hat es für richtig gehalten, dich hierher zu bringen, also muss ich es versuchen. Deine Anwesenheit verändert alles. Ich habe dir gesagt, dass du mir ständig erschienen bist, du besuchst mich jede Nacht in Träumen. Ich habe mich sehr bemüht, diese Zwangsvorstellung zu überwinden.«
Er lächelte selbstironisch. »Seit ich ein Kind war, habe ich versucht, die Abkehr von der Welt der Sinne zu üben. Mein einziger Wunsch war Erleuchtung. Ich ersehnte Heiligkeit. Ich sage nicht, dass ich nie Bindungen hatte - du weißt, wie es ist, wenn Männer ohne Frauen zusammenleben. Terayama ist keine Ausnahme. Aber ich habe mich nie in jemanden verliebt. Ich war von niemandem so besessen wie von dir.« Wieder umspielte das Lächeln seine Lippen. »Ich will nicht erklären, warum. Es ist nicht wichtig und überhaupt bin ich mir nicht sicher, ob ich es weiß. Jedenfalls warst du nach Lord Shigerus Tod wahnsinnig vor Schmerz. Ich war gerührt von deinem Leid. Ich wollte dich trösten.«
»Du hast mich getröstet«, sagte ich leise.
»Für mich ging es über den Trost hinaus! Mir war nicht klar, dass es so mächtig sein würde. Ich liebte es, wie ich mich fühlte, und war dankbar dafür, dass ich erlebte, was ich nie zuvor gefühlt hatte, und ich hasste es. All mein geistiges Streben erschien dadurch wie hohle Heuchelei. Ich ging zu unserem Abt und sagte ihm, meiner Meinung nach sollte ich den Tempel verlassen und in die Welt zurückkehren. Er schlug mir vor, eine Zeit lang wegzugehen und über meine Entscheidung nachzudenken. Ich habe einen Jugendfreund im Westen, der mich gebeten hatte, ihn zu besuchen. Du weißt, ich spiele ein wenig Flöte. Ich wurde eingeladen, mit Mamoru und anderen in einem Drama mitzuwirken, in Atsumori.«
Er schwieg. Der Wind warf einen Hagelschauer gegen die Wand. Die Lampe flackerte so heftig, dass sie fast erlosch. Ich hatte keine Ahnung, was Makoto als Nächstes sagen würde, aber mein Herz schlug schneller und ich spürte, wie sich der Puls in meiner Kehle beschleunigte. Nicht vor Begehren, obwohl die Erinnerung an das Begehren da war, mehr aus Angst zu hören, was ich nicht hören wollte.
Makoto sagte: »Mein Freund lebt im Haushalt von Lord Fujiwara.«
Ich schüttelte den Kopf. Von ihm hatte ich noch nie gehört.
»Er ist ein Edelmann, der aus der Hauptstadt ins Exil geschickt wurde. Seine Ländereien grenzen an die der Shirakawa.«
Schon ihren Namen zu hören war wie ein Schlag in den Magen. »Hast du Lady Shirakawa gesehen?«
Er nickte.
»Man hat mir erzählt, sie liege im Sterben.« Mein Herz hämmerte so, dass ich glaubte, es würde mir aus der Kehle springen.
»Sie war sehr krank, aber sie hat sich erholt. Lord Fujiwaras Arzt hat ihr das Leben gerettet.«
»Sie lebt?« Die schwache Lampe schien heller zu werden, bis die Hütte voller Licht war. »Kaede lebt?«
Er betrachtete mein Gesicht, sein eigenes war von Schmerz gezeichnet. »Ja, und ich bin zutiefst dankbar, denn wenn sie gestorben wäre, dann hätte ich ihr den tödlichen Schlag versetzt.«
Ich runzelte die Stirn und versuchte seine Worte zu enträtseln. »Was ist passiert?«
»Fujiwara und seine Leute kannten sie als Lady Otori. Man glaubte, dass Lord Shigeru sie heimlich in Terayama geheiratet hatte, an dem Tag, an dem er zum Grab seines Bruders kam, dem Tag, an dem wir uns kennen lernten. Ich hatte nicht erwartet, sie in Lord Fujiwaras Haus zu sehen, mir hatte man nichts von ihrer Heirat erzählt. Ich war völlig verblüfft, als sie mit mir bekannt gemacht wurde. Ich nahm an, du hättest sie geheiratet, du seist selbst da. Damit bin ich herausgeplatzt. Es verriet mir nicht nur, wie sehr ich von dir besessen war, obwohl ich mir vormachte, darüber hinweggekommen zu sein, ich zerstörte in einer Sekunde ihre Notlüge, noch dazu in Anwesenheit ihres Vaters.«
»Aber warum sollte sie so etwas behaupten?«
»Warum behauptet eine Frau, verheiratet zu sein, wenn sie es
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