Der Pfad im Schnee
alle, wie du Lord Shigeru gerettet hattest. Und sie begannen die Identität des Mannes zu erraten, den sie den Engel von Yamagata nannten.«
Er seufzte und blies in die letzte Glut. Die Lampe war längst ausgegangen. »Als wir nach Terayama zurückkehrten, machtest du gar nicht den Eindruck eines Helden. Du warst so verloren und tieftraurig wie andere auch und standest immer noch vor herzzerreißenden Entscheidungen. Du interessiertest mich schon, als wir uns kennen lernten, doch ich hielt dich für sonderbar - begabt vielleicht, aber schwach; dein Hörvermögen erschien mir seltsam, wie das eines Tieres. Normalerweise halte ich mich für einen guten Menschenkenner. Ich war überrascht, als du eingeladen wurdest wiederzukommen, und verwirrt über Shigerus Vertrauen in dich. Ich merkte, dass du nicht warst, was du zu sein schienst, sah, wie mutig du gewesen sein musstest, und ahnte die Kraft deiner Gefühle. Ich verliebte mich in dich. Wie gesagt, das war mir noch nie zuvor passiert. Und ich sagte, ich würde dir nicht erzählen warum, aber jetzt habe ich es getan.«
Nach einem Augenblick fügte er hinzu: »Ich werde nicht mehr darüber sprechen.«
»Es schadet nicht«, entgegnete ich. »Eher im Gegenteil. Freundschaft brauche ich mehr als alles andere auf der Welt.«
»Abgesehen von einer Armee?«
»Das muss warten bis zum Frühjahr.«
»Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um dir zu helfen.«
»Was ist mit deinem Ruf, deiner Suche nach Erleuchtung?«
»Dein Anliegen ist mein Ruf«, sagte er. »Warum sonst würde der Erleuchtete dich hierher bringen, um mich daran zu erinnern, dass wir mitten in der Welt leben? Zwischen uns existiert ein sehr starkes Band. Und ich sehe jetzt, dass ich nicht dagegen kämpfen muss.«
Das Feuer war fast aus. Ich konnte Makotos Gesicht nicht mehr sehen. Ich fröstelte unter der dünnen Decke und fragte mich, ob ich schlafen könnte, je wieder schlafen würde, jemals aufhören würde, nach dem Atem möglicher Attentäter zu horchen. In einer Welt, die so vollständig feindselig schien, berührte mich Makotos Hingabe tief. Mir fiel nichts ein, was ich sagen konnte. Ich nahm seine Hand und drückte sie kurz und dankbar.
»Hältst du Wache, während ich ein paar Stunden schlafe?«
»Selbstverständlich.«
»Wecke mich, und dann kannst du schlafen, bevor wir gehen.«
Er nickte. Ich wickelte mich in die zweite Decke und legte mich hin. Vom Feuer kam ein ganz schwacher Schein. Ich hörte sein ersterbendes Säuseln. Draußen hatte der Wind ein wenig nachgelassen. Von den Simsen tropfte es; irgendein kleines Geschöpf raschelte im Stroh. Eine Eule rief und die Maus wurde still. Ich glitt in einen unruhigen Schlaf und träumte von ertrinkenden Kindern. Immer wieder sprang ich in eisiges schwarzes Wasser, aber ich konnte sie nicht retten.
Die Kälte weckte mich. Im Morgengrauen drang gerade ein wenig Helligkeit in die Hütte. Makoto saß in Meditationshaltung da. Er atmete so langsam, dass ich es kaum hörte, doch er war völlig wach, das wusste ich. Ein paar Sekunden lang beobachtete ich ihn. Als er die Augen öffnete, schaute ich weg.
»Du hättest mich wecken sollen.«
»Ich fühle mich ausgeruht. Ich brauche sehr wenig Schlaf.« Neugierig fragte er: »Warum siehst du mich nie an?«
»Ich könnte dich einschläfern. Das ist eine der Stammesfähigkeiten, die ich geerbt habe. Ich sollte sie kontrollieren können, aber ein paar Menschen habe ich eingeschläfert, ohne es zu wollen. Deshalb schaue ich niemandem in die Augen.«
»Du meinst, es ist mehr als nur das Gehör? Was noch?«
»Ich kann mich unsichtbar machen - lange genug, um einen Gegner zu verwirren oder an einem Wachtposten vorbeizuschlüpfen. Und ich scheine an einer Stelle zu bleiben, nachdem ich sie verlassen habe, oder an zwei Stellen zugleich zu sein. Wir nennen es den Gebrauch des zweiten Ichs.« Ich beobachtete ihn verstohlen, während ich das sagte, weil mich seine Reaktion interessierte.
Unwillkürlich wich er zurück. »Klingt mehr nach einem Dämon als nach einem Engel«, murmelte er. »Können das alle diese Menschen, alle vom Stamm?«
»Verschiedene Menschen haben verschiedene Fähigkeiten. Ich scheine nur mehr geerbt zu haben, als mir zustehen.«
»Ich wusste nichts über den Stamm, wusste noch nicht einmal, dass er existierte, bis unser Abt nach deinem Besuch im Sommer von dir und deiner Verbindung zum Stamm sprach.«
»Viele glauben, die Talente seien Hexenwerk«, sagte ich.
»Stimmt
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