Der Pfad im Schnee
losrannte.
Ich wusste, dass ich nur eine Chance haben würde. Ich stürzte mich von oben auf ihn. Mein Gewicht brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und während er taumelte, fand ich eine Lücke in seinem Halsschutz, stieß das Messer in die Hauptschlagader der Kehle und zog es kreuzweise durch die Luftröhre, wie Kenji es mir beigebracht hatte. Der Mann stieß einen überraschten Seufzer aus - einen, den ich oft von Stammesangehörigen gehört hatte, die nicht erwarten, dass sie die Opferrolle spielen müssen - und aus dem Taumeln wurde ein Fall. Ich glitt von ihm herunter. Seine Hände fuhren an die Kehle, wo der Atem laut pfiff und das Blut herausspritzte. Dann sank er endgültig mit dem Gesicht in den Schnee, den das Blut rot färbte.
Ich durchsuchte seine Kleidung und nahm die übrigen Messer und das kurze Schwert, das besonders schön war, an mich. Er hatte eine Auswahl an Giften bei sich, die ich ebenfalls einsteckte, weil ich zu dieser Zeit keine eigenen besaß. Ich hatte keine Ahnung, wer er war. Ich zog ihm die Handschuhe aus und betrachtete seine Handflächen, doch sie trugen nicht die charakteristische gerade Linie der Kikuta, und soweit ich sehen konnte, hatte er keine Tätowierungen.
Ich überließ seine Leiche den Krähen und Füchsen, denen sie eine willkommene Wintermahlzeit sein würde, und lief so schnell und so leise wie möglich weiter, denn vielleicht hatte er zu einer Gruppe gehört, die den Fluss beobachtete und auf mich wartete. Das Blut durchströmte mich rasch; von dem Sprung und dem kurzen Kampf war mir warm geworden und ich war von tiefer, primitiver Freude erfüllt, weil nicht ich es war, der tot im Schnee lag.
Dass der Stamm mich so schnell eingeholt hatte, dass sie wussten, wohin ich gehen würde, erschreckte mich ein wenig. War Akios Leiche entdeckt worden, wurden schon reitende Boten von Hagi nach Yamagata geschickt? Oder lebte Akio noch? Ich verfluchte mich, weil ich mir nicht die Zeit genommen hatte, ihn selbst zu töten. Vielleicht hätte mich diese Begegnung stärker ängstigen und mich erkennen lassen sollen, was es bedeutete, bis an mein Lebensende vom Stamm gejagt zu werden. Das war mir schon klar, aber ich ärgerte mich, weil sie versucht hatten, mich im Wald zu töten wie einen Hund, und freute mich darüber, dass ihr erster Anschlag missglückt war. Dem Stamm mochte es gelungen sein, meinen Vater zu töten, doch Kenji selbst hatte gesagt, dass niemand ihm nahe gekommen wäre, wenn er nicht geschworen hätte, nie mehr zu töten. Ich wusste, dass ich alle seine Talente hatte, vielleicht sogar mehr. Ich würde Stammesangehörige nicht mehr in meine Nähe lassen. Ich würde Shigerus Arbeit fortsetzen und die Macht des Stamms brechen.
Alle diese Gedanken wirbelten mir durch den Kopf, während ich weiter durch den Schnee stapfte. Sie gaben mir Energie und stärkten meinen Entschluss zu überleben. Als ich fertig war mit dem Stamm, richtete ich meinen Zorn gegen die Otorilords, deren Verrat mir noch größer vorkam. Krieger behaupteten, Ehre und Treue seien ihnen überaus wichtig, doch ihr Verrat und ihre Wortbrüche waren entscheidend und so selbstsüchtig wie die der Stammesmitglieder. Shigerus Onkel hatten ihn in den Tod geschickt und versuchten jetzt mich zu enterben. Sie wussten nicht, was ihnen bevorstand.
Wenn sie mich jetzt sehen könnten, knietief in Schneewehen, schlecht gekleidet, schlecht bewaffnet, ohne Gefolgsleute, Geld oder Land, würden ihnen meine Drohungen bestimmt keine schlaflosen Nächte bereiten.
Ich konnte nicht anhalten und mich ausruhen. Mir blieb nichts übrig als weiterzuwandern, bis ich Terayama erreichte oder vor Erschöpfung umfiel. Aber immer wenn ich den Pfad verließ und auf mögliche Verfolger horchte, vernahm ich nichts als das Stöhnen des Windes und das leise Zischen der fallenden Flocken, bis ich spät am Tag, als es schon langsam dunkelte, Geräuschfetzen aus dem Tal zu hören glaubte.
Es war das Letzte, was ich draußen auf dem Berg erwartet hätte, während der Wald sich mit Schnee füllte. Es klang wie Flötenmusik, so einsam wie der Wind in den Kiefern, so flüchtig wie die Flocken. Dass es mir Schauer über den Rücken schickte, war nicht nur meine übliche Reaktion auf Musik, es hatte auch mit einer tieferen Angst zu tun. Ich glaubte, dass ich dem Rand der Welt zu nah gekommen war und Geister hörte. Ich dachte an die Bergkobolde, die Menschen anlocken und sie Tausende von Jahren unter der Erde gefangen halten. Ich wünschte, ich
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