Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
Sie kannten Ihren Feind nicht. Jetzt haben Sie eine Ahnung von seiner Macht.«
    »Was wissen Sie über den Stamm?«
    »Shigeru vertraute mir und suchte oft meinen Rat. Bei seinem letzten Besuch sprachen wir lange über Sie.«
    »Das habe ich nicht gehört.«
    »Nein, er achtete darauf, am Wasserfall zu reden, damit Sie es nicht hörten. Später gingen wir in dieses Zimmer.«
    »Wo Sie über Krieg redeten.«
    »Er brauchte meine Versicherung, dass der Tempel und die Stadt sich erheben würden, sobald Iida tot war. Er war immer noch unentschieden im Hinblick auf den Mordversuch, er fürchtete, Sie einfach in den sicheren Tod zu schicken. Wie sich herausstellte, war es sein eigener Tod, der den Aufstand entfachte, und wir hätten ihn selbst dann nicht verhindern können, wenn wir gewollt hätten. Doch Arai war mit Shigeru verbündet, nicht mit dem Clan der Otori. Wenn er dieses Gebiet für sich erobern kann, wird er es tun. Im Frühjahr werden sie Krieg führen.«
    Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Die Otori planen, Shigerus Ländereien für sich zu beanspruchen und Ihre Adoption für ungesetzlich zu erklären. Dass ihre Intrigen zu seinem Tod geführt haben, reicht ihnen nicht, sie beleidigen auch noch sein Andenken. Deshalb bin ich froh, dass Sie Ihre Erbschaft antreten wollen.«
    »Aber werden die Otori mich je akzeptieren?« Ich streckte ihm die Handflächen entgegen. »Ich bin als Kikuta gekennzeichnet.«
    »Darüber sprechen wir später. Sie werden überrascht sein, wie viele auf Ihre Rückkehr warten. Im Frühling werden Sie es erleben. Ihre Männer werden Sie finden.«
    »Ein Otorikrieger hat bereits versucht, mich zu töten«, sagte ich wenig überzeugt.
    »Makoto hat es mir erzählt. Der Clan wird gespalten sein, aber Shigeru wusste und akzeptierte das. Es war nicht seine Schuld - das bahnte sich an, als er nach dem Tod seines Vaters verdrängt wurde.«
    »Meiner Meinung nach sind Shigerus Onkel verantwortlich für seinen Tod. Aber je mehr ich darüber erfahre, umso mehr überrascht es mich, dass sie ihn so lange am Leben ließen.«
    »Das Schicksal bestimmt die Länge unseres Lebens«, entgegnete der Abt. »Die Otorilords fürchten ihre eigenen Leute. Ihre Bauern sind von ihrer Natur und Tradition her eher unberechenbar. Sie sind nie völlig eingeschüchtert worden wie die Bauern unter den Tohan. Shigeru kannte und respektierte sie und gewann damit ihren Respekt und ihre Zuneigung. Das schützte ihn vor seinen Onkeln. Es wird auf Sie übertragen werden.«
    »Vielleicht. Aber ein ernsteres Problem ist, dass ich jetzt vom Stamm zum Tod verurteilt bin.«
    Sein Gesicht war ruhig und elfenbeinfarben im Lampenlicht. »Das ist wohl ein weiterer Grund dafür, dass Sie hier sind.«
    Ich glaubte, er würde weiterreden, doch er schwieg und beobachtete mich erwartungsvoll.
    »Lord Shigeru hatte Aufzeichnungen.« Ich sagte es vorsichtig in den stillen Raum hinein. »Berichte über den Stamm und seine Aktivitäten. Ich hoffe, Sie werden sie mir zugänglich machen.«
    »Sie sind hier für Sie aufbewahrt worden«, antwortete er. »Ich werde sie jetzt bringen lassen. Und natürlich habe ich noch etwas für Sie.«
    »Jato«, sagte ich.
    Er nickte. »Sie werden das Schwert brauchen.«
    Er rief Norio und bat ihn, im Lagerhaus die Kiste und das Schwert zu holen.
    »Shigeru wollte Ihre Entscheidungen nicht beeinflussen«, sagte er, während ich auf Norios Schritte horchte, die über den Innenhof hallten. »Ihm war bewusst, dass Ihr Erbe zu Loyalitätskonflikten führen würde. Er hielt es auch durchaus für möglich, dass Sie sich für die Kikuta entscheiden würden. In diesem Fall wären die Aufzeichnungen allein für mich bestimmt gewesen. Aber weil Sie Ihre Otoriseite gewählt haben, gehören die Berichte Ihnen.«
    »Ich habe mir ein paar Lebensmonate erkauft«, sagte ich nicht ohne Selbstverachtung. »Meine Wahl hat nichts Edelmütiges, es sei denn, dass ich endlich tue, was Lord Shigeru wollte. Es ist noch nicht einmal eine richtige Wahl, weil mein Leben mit dem Stamm in eine Sackgasse führte. Meine Zugehörigkeit zu den Otori besteht nur durch Adoption und wird von allen in Frage gestellt werden.«
    Wieder lächelte er, seine Augen strahlten Verständnis und Weisheit aus. »Shigerus Wille ist ein so guter Grund wie alles andere.«
    Ich spürte, dass er über weitere Kenntnisse verfügte, die er später mit mir teilen würde, doch da hörte ich bereits zurückkehrende Schritte und reagierte wider Willen mit

Weitere Kostenlose Bücher