Der Pfad im Schnee
Anspannung, bis ich die von Norio erkannte, die jetzt etwas schwerer waren - er trug die Kiste und das Schwert. Er schob die Tür auf, trat ein, fiel auf die Knie und legte Kiste und Schwert auf die Matte. Ich drehte nicht den Kopf, doch ich hörte das leise Geräusch, das dabei entstand. Freude und Angst zugleich beschleunigten mir den Puls bei der Aussicht, Jato wieder in den Händen zu halten.
Norio schloss die Tür hinter sich, kniete wieder nieder und legte die kostbaren Gegenstände vor den Abt, wo auch ich sie sehen konnte. Sie waren beide in alte Tücher gehüllt, die ihre Bedeutung tarnten. Der Abt nahm Jato heraus und hielt es mir mit beiden Händen entgegen. Ich nahm es ebenso, hob es über den Kopf und verbeugte mich vor dem Abt, während ich das kühle vertraute Gewicht der Scheide spürte. Ich sehnte mich danach, das Schwert zu ziehen und sein Stahllied zu wecken, aber in Anwesenheit des Abtes wollte ich das nicht tun. Ehrfürchtig legte ich es neben mir auf den Boden, während er die Kiste auspackte.
Ein Duft nach Raute stieg davon auf. Ich erkannte die Kiste sofort. Schließlich hatte ich sie für ein Geschenk an den Tempel gehalten und unter Kenjis Augen den Bergpfad hinaufgetragen. Hatte Kenji nicht geahnt, was sie enthielt?
Der Alte öffnete den Deckel - er war nicht verschlossen - und der Rautenduft wurde stärker. Der Abt hob eine der Schriftrollen heraus und hielt sie mir hin.
»Diese sollten Sie zuerst lesen. So hat Shigeru es angeordnet.« Als ich sie nahm, sagte er, plötzlich tief bewegt: »Ich habe nicht geglaubt, dass dieser Augenblick kommen würde.«
Ich schaute ihm in die Augen. Sie lagen tief in seinem alten Gesicht und waren so hell und lebendig wie bei einem Zwanzigjährigen. Er hielt meinem Blick stand, und ich wusste, dass er nie dem Kikutaschlaf erliegen würde. In der Ferne läutete eine der kleineren Glocken drei Mal. Ich stellte mir die Mönche vor im Gebet, bei der Meditation und spürte die geistige Macht dieses heiligen Ortes, die in der Person des Greises vor mir gesammelt und gespiegelt war. Wieder empfand ich tiefe Dankbarkeit für ihn, für den Glauben, der ihn stärkte, für den Himmel und die verschiedenen Götter, die trotz meines eigenen Unglaubens anscheinend mein Leben in ihre Verantwortung und Pflege übernommen hatten.
»Lesen Sie«, forderte er mich auf. »Mit dem Rest können Sie sich später beschäftigen, aber lesen Sie das jetzt.«
Ich breitete die Rolle auseinander und runzelte die Stirn über den Text. Ich erkannte die Schrift von Shigeru und die Zeichen waren mir vertraut, auch mein eigener Name dazwischen, doch die Worte ergaben für mich keinen Sinn. Ich ließ den Blick über die Zeilen wandern, entrollte etwas mehr Text und befand mich in einem Meer von Namen. Es schien eine Ahnentafel zu sein wie jene, die Gosaburo mir in Matsue erklärt hatte. Sobald ich das verstanden hatte, begriff ich, worum es ging. Ich kehrte zur Einleitung zurück und las sie diesmal sorgfältig, dann ein drittes Mal. Ich schaute auf und sah den Abt an.
»Ist das wahr?«
Er lachte leise. »Offenbar. Sie sehen Ihr eigenes Gesicht nicht, deshalb sehen Sie nicht den Beweis darin. Ihre Hände mögen wie die der Kikuta sein, doch Ihre Züge sind ganz die der Otori. Die Mutter Ihres Vaters arbeitete als Spionin für den Stamm. Sie wurde von den Tohan angestellt und nach Hagi geschickt, als Shigerus Vater Shigemori kaum mehr als ein Junge war. Es kam zu einer Verbindung, die anscheinend nicht vom Stamm gebilligt wurde. Ihr Vater war das Ergebnis. Ihre Großmutter muss eine einfallsreiche Frau gewesen sein: Sie sagte niemandem etwas, wurde mit einem ihrer Vetter verheiratet und das Kind wurde als Kikuta erzogen.«
»Shigeru und mein Vater waren Brüder? Er war mein Onkel?«
»Es wäre schwer für jeden, das zu leugnen, so wie Sie aussehen. Als Shigeru Sie zum ersten Mal sah, war er von Ihrer Ähnlichkeit mit seinem jüngeren Bruder Takeshi überrascht. Natürlich glichen sich die beiden Brüder sehr. Wenn Sie längere Haare hätten, wären Sie jetzt das Ebenbild von Shigeru als junger Mann.«
»Wie hat er das entdeckt?«
»Manches fand er in seiner eigenen Familiengeschichte. Sein Vater hatte immer vermutet, dass die Frau ein Kind empfangen hatte, und vor seinem Tod vertraute er das Shigeru an. Den Rest entdeckte er selbst. Er verfolgte die Spur Ihres Vaters nach Mino und stellte fest, dass nach dessen Tod ein Sohn geboren worden war. Ihr Vater muss unter einem ähnlichen
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