Der Pfad im Schnee
war zu schlecht, um jemanden hinauszuschicken. Lord Otori ist rechtzeitig gekommen. Der Pfad, den Sie gegangen sind, ist schon unpassierbar. Der Tempel wird jetzt geschlossen bis zum Frühjahr.«
»Es ist eine Ehre für uns, dass Sie zurückgekehrt sind«, sagte einer von ihnen schüchtern und die Blicke, die sie tauschten, bestätigten mir, dass sie sich denken konnten, wie wichtig mein Kommen war.
Nach etwa zehn Minuten war der Bote zurück. »Unser Abt heißt Lord Otori willkommen«, sagte er, »und bittet Sie zu baden und zu essen. Er möchte mit Ihnen nach den Abendgebeten sprechen.«
Makoto trank seinen Tee aus, verbeugte sich höflich vor mir und sagte, er müsse sich für die Abendgebete fertig machen, als hätte er den ganzen Tag mit den anderen Mönchen im Tempel verbracht, statt durch einen Schneesturm zu stapfen und zwei Männer zu töten. Sein Verhalten war kühl und förmlich. Ich wusste, dass darunter das Herz eines wahren Freundes schlug, doch hier war er einer der Mönche und ich musste wieder lernen, mich wie ein Lord zu benehmen. Der Wind heulte um die Giebel, der Schnee fiel unablässig. Ich war sicher nach Terayama gelangt. Der Winter gehörte mir, damit ich mein Leben neu gestaltete.
Ich wurde von dem jungen Mann, der die Botschaft des Abtes ausgerichtet hatte, in eines der Gästezimmer gebracht. Im Frühling und Sommer wären diese Zimmer voller Besucher und Pilger gewesen, doch jetzt lagen sie verlassen. Obwohl auch die äußeren Läden zum Schutz vor dem Sturm geschlossen waren, herrschte darin bittere Kälte. Der Wind heulte durch die Ritzen in den Wänden, und durch einige breitere Spalten drang Schnee herein. Derselbe Mönch zeigte mir den Weg zu dem kleinen Badehaus über der heißen Quelle. Ich zog meine nassen, schmutzigen Sachen aus und schrubbte mich von Kopf bis Fuß. Dann glitt ich in das heiße Wasser. Es war noch besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich dachte an die Männer, die mich in den letzten beiden Tagen zu töten versucht hatten, und war überglücklich, dass ich lebte. Das Wasser dampfte und sprudelte um mich herum. Ich war ihm plötzlich dankbar dafür, dass es aus dem Berg strömte, meinen schmerzenden Körper badete und meine erfrorenen Glieder auftaute. Ich dachte an Berge, die stattdessen Asche und Feuer ausspuckten oder ihre Hänge schüttelten und Gebäude umherwarfen wie Holzscheite und Menschen verjagten wie Insekten, die von brennenden Stämmen kriechen. Dieser Berg hätte mich festhalten und erfrieren lassen können, stattdessen hatte er mir dieses heiße Wasser geschenkt.
An meinen Armen waren blaue Flecke vom Griff des Kriegers, und am Hals, wo sein Schwert mich gestreift haben musste, hatte ich eine lange, flache Wunde. Mein rechtes Handgelenk hatte mich immer wieder geplagt, seit Akio es in Inuyama nach hinten gebogen und die Sehnen zerrissen hatte, doch jetzt schien es kräftiger zu sein. Mein Körper war magerer denn je, aber sonst war ich nach der Reise in guter Verfassung. Und jetzt war ich auch sauber.
Ich hörte Schritte im Zimmer drüben und der Mönch rief, er habe trockene Kleidung und etwas zu essen gebracht. Krebsrot von der Hitze stieg ich aus dem Wasser, rieb mich mit den Lappen trocken, die zu diesem Zweck dalagen, und lief über den Brettersteg durch den Schnee zum Zimmer.
Es war leer; die Kleidungsstücke lagen auf dem Boden: ein sauberes Lendentuch, gesteppte Unterwäsche und ein seidenes Obergewand, ebenfalls gesteppt, mit einer Schärpe. Das Gewand hatte eine dunkle Pflaumenfarbe mit eingewebtem violettem Muster und trug auf dem Rücken das Wappen der Otori in Silber. Ich zog es langsam an und genoss die Berührung der Seide. Es war lange her, seit ich etwas von dieser Qualität getragen hatte. Ich fragte mich, warum die Robe im Tempel war, wer sie hier zurückgelassen hatte. War es Shigeru gewesen? Ich spürte, wie seine Gegenwart mich umhüllte. Als Erstes würde ich am Morgen sein Grab besuchen. Er würde mir sagen, wie ich ihn rächen konnte.
Der Geruch des Essens ließ mich spüren, wie ausgehungert ich war. Seit Tagen hatte ich nichts gegessen, das so kräftig war wie diese Mahlzeit, und ich brauchte nur zwei Minuten, um sie zu verschlingen. Damit mir das Hitzegefühl vom Bad erhalten blieb und ich nicht einschlief, machte ich ein paar Übungen und beendete sie mit Meditation.
Durch Wind und Schnee hörte ich die Mönche in der Haupthalle des Tempels singen. Die Schneenacht, das einsame Zimmer mit seinen Erinnerungen
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