Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake
Vielleicht lässt du die Kanten ein wenig überlappen, dann kannst du für beide dieselbe Heftzwecke benutzen.«
Seine Aufmerksamkeit gilt sowieso nicht mir , sagte sie sich.
Ja? Sei dir da mal nicht so sicher.
Wenn er wie die meisten Männer ist, gafft er mir wahrscheinlich direkt unter die Bluse. Oder bückt sich, um einen Blick auf mein Höschen zu werfen.
Sie klemmte die Plastikdose unter ihr Kinn, damit sie die rechte Hand frei hatte, und zog die Heftzwecke aus dem Whitman-Bild wieder heraus.
Mittlerweile, dachte sie, hätte Jim schon längst seine Hand an meinem Oberschenkel.
Mr. Kramer ist nicht Jim, zum Glück.
Außerdem bin ich eine Schülerin. Er würde sich nicht trauen, mich anzufassen, selbst wenn er es wollte.
Sie platzierte die Ränder der Bilder übereinander und drückte die Heftzwecke hinein. Mark Twain hing an einem Reißnagel, während sie die Dose unter ihrem Kinn wegnahm und sich nach einem Porträt von Charles Dickens bückte.
Als sie sich wieder aufrichtete, drehte sie sich zu Mr. Kramer um. Er nickte anerkennend.
»Sieht so aus, als hättest du es im Griff.«
»Ja.«
»Schrei einfach, wenn du mich brauchst«, sagte er und ging zu seinem Schreibtisch.
Er setzte sich, beugte sich über einen Stapel Schularbeiten und nahm seinen Rotstift.
Gott sei Dank, dachte Lane.
Aber sie fühlte sich seltsam – nicht nur erleichtert, dass er nicht mehr unter ihr stand, sondern auch ein wenig enttäuscht, ein wenig verlassen.
Anscheinend war er nicht besonders beeindruckt, dachte sie.
Sie stieß eine Heftzwecke durch die Ecken von Dickens und Twain.
Ich wollte doch nicht, dass er unter meine Bluse guckt!
Vielleicht hat er die Situation noch nicht einmal ausgenutzt.
Sie kletterte vom Hocker, schob ihn ein Stück weiter und sah, wie Mr. Kramer sich umdrehte und beobachtete, wie sie wieder hinaufkletterte. »Vorsicht«, sagte er.
Sie nickte lächelnd.
Und ein schrecklicher Gedanke ging ihr durch den Kopf.
Vielleicht denkt er ja, ich habe mich so angezogen, um ihn anzumachen?
Lane wurde knallrot.
Er muss mich für eine Schlampe halten.
Sie hängte ein Bild von Tennyson auf, und Schweißtropfen rannen unter ihren Armen hinab.
Ich wollte hübsch für ihn aussehen, sagte sie sich, aber ich hatte ja keine Ahnung …
Sie wünschte bei Gott, dass sie eine Jeans und ein längere Bluse anhätte. Eine Bluse, die sie fest in den Hosenbund stopfen könnte.
Ich bin keine Schlampe.
Und wenn er glaubt, dass ich das tue, um bessere Noten zu bekommen?
Eine ganze Menge Schülerinnen waren bekannt dafür, dass sie aus diesem Grund mit ihren Lehrern flirteten. Einige boten vermutlich sogar an, mit ihnen ins Bett zu steigen. Auch wenn Lane von keiner wusste, die so etwas getan hatte, nahm sie doch an, dass es vorkam.
Ich bekomme sowieso eine Eins von ihm, sagte sich Lane. Also kann er eigentlich nicht glauben, dass ich mich so anziehe, um eine bessere Note zu bekommen.
Außerdem, warum sollte er auch nur vermuten, ich würde die Klamotten für ihn anziehen? Wahrscheinlich glaubt er, dass ich einfach für meinen Freund gut aussehen will.
Klar, dachte sie. Er kann nicht ahnen, dass ich mich für ihn angezogen habe. Er kann ja keine Gedanken lesen.
Sie fuhr fort, Bilder aufzuhängen, balancierte auf dem Hocker, bückte sich nach neuen Porträts, pinnte sie an den Korkstreifen, kletterte hin und wieder hinab und rückte den Hocker näher an Mr. Kramers Schreibtisch.
Häufig sah sie zu ihm hinüber. Meist war er damit beschäftigt, die Essays zu lesen. Manchmal bemerkte sie, dass er über die Schulter zu ihr blickte. Aber in diesen Fällen drehte er sich nicht schnell weg und tat, als hätte er sie nicht angesehen. Er benahm sich nicht, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Meist lächelte er nur oder nickte ihr zu und gab einen Kommentar ab: »Du machst das wirklich gut« oder »Ich bin froh, dass ich nicht da oben stehe« oder »Wenn du müde wirst, hör lieber auf«.
Lane hatte schließlich den Verdacht, dass es ihm vollkommen egal war, wie sie angezogen war.
Ich könnte genauso gut einen Overall anhaben, dachte sie.
Sie fragte sich, ob er vielleicht schwul sei.
Jetzt mach mal halblang. Was erwartest du eigentlich? Er ist ein Lehrer.
Sie stieg wieder vom Hocker hinab und rückte in Richtung seines Schreibtischs vor. Kramer drehte sich mit seinem Stuhl herum und betrachtete die Bilder über der Tafel. »Toll«, sagte er. »Der Raum sieht gleich schöner aus, oder?«
»Noch schöner
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