Der Pfeil der Rache
Bereich der alten Klostermauer auf, und der Jäger Avery trat ein. Er trug ein grünes Wams, grüne Beinkleider und sogar eine grüne Kappe über dem schmalen, tiefbraunen Gesicht. Er verneigte sich. Ich ging hinüber zu ihm.
»Nur noch – äh – vier Tage bis zur Jagd?«, fragte ich.
»So ist es.« Hundegebell tönte aus dem Zwinger herüber; die Tiere hatten seine Schritte erkannt. Er lächelte müde. »Fütterungszeit. Sie hören mich immer.«
»Ihr habt jetzt gewiss alle Hände voll zu tun.«
»O ja. Die Hunde machen viel Mühe, man muss sie füttern und sauber halten und zweimal täglich mit ihnen spazieren gehen. Und im Park gibt’s auch eine Menge zu tun; wir treffen Vorbereitungen für die Jagd. Master Hobbey möchte, dass alles aufs beste gelingt.«
»Dann hat er auch Männer aus dem Dorf beschäftigt?« Avery lächelte verlegen und zuckte mit den Schultern.
»Wie groß ist der Park?«, fragte ich.
»In jeder Richtung etwa eine Meile. Er war einst ein Hirschgarten, soweit ich weiß. Die Nonnen verpachteten ihn an den hiesigen Landadel. Aber in den letzten Jahren ist er heruntergekommen.«
»Ich frage mich, warum Master Hobbey ihn nicht schon früher bejagt hat.«
»Nun ja, Sir, das ist nun wirklich seine Sache.« Ein wachsamer Unterton schwang in Averys Stimme. Aha, dachte ich, man hatte ihn also vor mir gewarnt.
»Ganz recht, Verzeihung. Aber sagt mir doch, was ist für die Jagd geplant?«
»Gäste und Familienmitglieder postieren sich entlang einer festgelegten Route, und der Hirsch wird auf sie zugetrieben. Ich konnte gestern erneut einen Blick auf ihn werfen. Ein prachtvolles Tier.«
»Und wer ihn erlegt, erhält das Herzkreuz?«
»Genau.«
»Vielleicht wieder Master Hugh?«
»Vielleicht er, vielleicht auch einer der Gäste. Ich weiß nicht, ob sie gute Schützen sind. Oder Master David, er schießt ausgezeichnet. Allerdings ist ihm partout nicht beizubringen, dass ein Jäger auf der Pirsch schweigen und sich gut verbergen muss.«
»Seid Ihr deshalb grün gekleidet?«
»Gewiss. Alle Jäger kleiden sich grün oder braun.«
»Reist Ihr durch die Lande, um Hetzjagden zu organisieren, Master Avery?«
»Jetzt schon. Bis vor acht Jahren war ich für einen Klosterwald verantwortlich. Dann wurde das Kloster geschlossen und das zugehörige Land aufgeteilt und veräußert.«
»Welches Kloster?«
»Die Priorei Lewes drüben in Sussex.«
»Wirklich? Lewes? Die Ingenieure, die Lewes im Auftrag von Lord Cromwell niederreißen mussten, nahmen kurz darauf ein Kloster auseinander, mit dem ich – Kontakt hatte.«
Avery schüttelte traurig den Kopf. »Ich sah Lewes unter mächtigem Getöse und einer Wolke aus Staub in sich zusammenfallen. Ein schrecklicher Anblick. Habt Ihr die Zerstörung jenes Klosters mit ansehen müssen?«
»Nein. Ich habe nicht so lange gewartet.« Ich seufzte.
Nach kurzem Zögern sagte Avery: »Ich bin froh, diesen Ort nach der Jagd verlassen zu können. Der Unfriede mit dem Dorf, die Familienmitglieder, die einander umzischeln wie Schlangen. Ihr wolltet Euch vergewissern, dass es Master Hugh an nichts fehlt?«
»Ja. So ist es.«
»Er ist von allen der Beste. Ein feiner Bursche.« Vermutlich in der Meinung, zu viel preisgegeben zu haben, verneigte sich Avery und ging zu seinen Hunden.
* * *
Versonnen schritt ich an den Wirtschaftsgebäuden vorbei zu Baraks Quartier.
»Master Shardlake.« Ich fuhr herum. Fulstowe war aus dem Waschhaus getreten.
»Ihr habt mich erschreckt, Master Fulstowe.«
Er setzte sein unterwürfiges Lächeln auf. »Das tut mir leid. Ich sah Euch durch die offene Tür. Ihr seid eben zurückgekehrt?«
»Ja.«
»Benötigt Ihr etwas?«
»Nur Wasser und Ruhe.«
»Ich lasse Euch heißes Wasser aufs Zimmer bringen. Einige Briefe sind für Euch gekommen, Barak nahm sie entgegen.«
»Danke. Sind die Herrschaften wohlauf?«
»Ja. Wir hatten eine ruhige Zeit.« Fulstowes Augen forschten in meinem Gesicht. »War Eure Angelegenheit in Sussex von Erfolg gekrönt, Sir?«
»Sie war – vertrackt.«
»Wir brechen morgen sehr zeitig nach Portsmouth auf, wenn es Euch konveniert.«
»Ihr begleitet uns?«
»Ja. Mit Master Hugh und Master David. Sie haben es sich in den Kopf gesetzt, die Flotte zu sehen.« Er lächelte. »Es sind eben Knaben.«
»Fast schon Männer.«
Er strich sich über den tadellosen blonden Bart. »Ja, in der Tat.«
»Und jetzt will ich ein paar Worte mit meinem Schreiber wechseln, ehe ich ins Haus gehe und meine Briefe
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