Der Pfeil der Rache
nicht darin herumrühren. Die Wests sind mächtige Leute, ihnen gehört das Land, das wir bestellen. Vater weiß nicht das Geringste, er war ja nicht mal dabei. Wir dachten, das sollten wir Ihnen sagen, Sir.« Seine Stimme klang ruhig, sogar respektvoll, aber dennoch bedrohlich.
»Vater meinte, Ihr würdet Rolfswood morgen verlassen«, fügte sein Bruder hinzu. »Nehmt unseren Rat: Kommt nicht zurück, und sprecht vor allem nicht noch einmal mit unserem Vater.« Er beugte sich zu mir herunter. »Sonst findet Ihr Euch womöglich mit gespaltenem Schädel wieder. Merkt es Euch: Wir haben Euch nichts gesagt, sind Euch nie begegnet!« Er nickte mir vielsagend zu, dann machten die beiden kehrt und verschwanden wieder durch den Spalt in der Hecke. Ich holte tief Luft und setzte meinen Weg fort.
* * *
Ich verbrachte eine unruhige Nacht in der Herberge. Was hatte sich hier abgespielt vor neunzehn Jahren? In meinem aufgewühlten Gemüt jagte eine Theorie die nächste. War Peter Gratwyck einer der Vergewaltiger gewesen? Hatten er und Philip West Ellen und ihren Vater überfallen und dann die Anlage in Brand gesetzt, um die Leiche loszuwerden? War Gratwyck danach fortgerannt? Ich schüttelte den Kopf. Es gab keinerlei Beweise, weder für diese Theorie noch für eine andere. Dennoch fragte ich mich, ob in jener Nacht ein Mord geschehen war.
Dass Priddis in die Sache involviert gewesen war, hatte mich erschreckt. In zwei Tagen sollte ich ihn in Portsmouth treffen. Und Philip West war vermutlich auch dort. Das war nicht weiter verwunderlich, da sich derzeit alle Beamten von Rang, die Armee und die königliche Flotte in Portsmouth versammelten. Der König persönlich würde sich in einer Woche dort einfinden.
Morgen würde ich zum Kloster Hoyland und seinen seltsamen Bewohnern zurückkehren. Ich hatte kaum an sie gedacht, seit ich hier war. Ich warf mich hin und her, dachte immerzu daran, wie Seckford Ellen beschrieben hatte: ein armes Tier, das in eine Falle geraten war.
* * *
Tags darauf stieg ich zeitig aus dem Bett. Eines wollte ich noch tun, ehe ich aufbrach. Ich trat aus der Herberge und ging die Hauptstraße entlang. Bald erreichte ich das Haus, das Wilf erwähnt hatte. Es war das größte vor Ort, frisch gestrichen in blauer Farbe, mit bleiverglasten Fenstern und wunderschönen Tierschnitzereien an den Türpfosten des Vordereingangs. Ich klopfte. Eine Magd öffnete mir die Tür, und ich verlangte mit Master Buttress zu sprechen. Die Angelegenheit betreffe die Familie Fettiplace. Das gäbe ihm zu denken, dachte ich.
Man bat mich, in der Stube zu warten. Es war ein geschmackvoll ausgestatteter Raum, den ein Wandgemälde beherrschte, auf dem üppig gewandete römische Beamte zu sehen waren, die vor dem Senat in Streit geraten waren. Auf einem Tisch stand eine große Vase mit Sommerblumen. Ich sah sie an und musste daran denken, dass Ellen dem Pfarrer Blumen gebracht hatte. In diesem Raum war sie aufgewachsen, hier hatte sie ihr Leben verbracht bis zu jenem schicksalhaften Tag. Ich blickte mich um, die Sinne geschärft, doch ich spürte keinerlei Verbindung.
Die Tür ging auf, und ein hochgewachsener, stämmiger Mann mit stahlgrauen Locken trat ein. Er trug ein wollenes Wams mit silbernen Knöpfen über einem Hemd, das mit feiner Spitze verziert war. Er verneigte sich.
»Master Buttress?«, fragte ich.
»Derselbe. Wie ich höre, habt Ihr eine Frage bezüglich der Familie Fettiplace, die früher hier lebte.« Sein Gebaren war höflich, hatte aber etwas ebenso Wachsames wie Aggressives.
»Verzeiht die frühe Störung, aber ich fragte mich, ob Ihr mir vielleicht weiterhelfen könntet.« Ich erzählte auch ihm die Geschichte von dem Freund, für den ich Erkundigungen einzöge.
»Wer hat Euch erzählt, dass das Haus mir gehört?«
»Jemand im Wirtshaus hat es erwähnt.«
Buttress knurrte verächtlich. »Hier wird viel zu viel getratscht. Ich kannte die Familie kaum.«
»Ah so. Ich habe nachgedacht. Mistress Fettiplace hat vielleicht ihre Londoner Anschrift auf der Übertragungsurkunde hinterlassen, als sie das Haus verkaufte. Das könnte mir helfen, sie aufzuspüren. Außer«, setzte ich hinzu, »außer, ihre geistige Gesundheit stand in Zweifel. In diesem Falle wäre die Übertragung über das Vormundschaftsamt gelaufen, wie es damals üblich war.«
Buttress sah mich aus schmalen Augen an. »Wenn ich mich recht entsinne, hat sie es selbst verkauft. Es hatte alles seine Ordnung, sie war über sechzehn, demnach alt
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