Der Pfeil der Rache
Ich sollte ihr nichts davon erzählen, sonst gerate sie womöglich außer sich. Es sei doch das Beste für sie, überzeugte mich auch Jane Wright. Ach, und ich war leicht zu überzeugen. Priddis kam früh am Morgen mit zwei Männern, großen, hässlichen Grobianen. Sie trampelten in Ellens Kammer und zerrten sie heraus. Sie schrie wie ein Tier, das in eine Falle geraten war. Ich sagte ihr, es sei zu ihrem Besten, sie gehe zu lieben Verwandten, aber sie hörte mich nicht. Wie sie mich ansah, da sie dachte, ich hätte sie verraten. Was ja auch zutraf. Sie schrie noch immer, als die Kutsche davonfuhr. Ich höre sie bis zum heutigen Tag.«
Genau wie ich, dachte ich, wagte es aber nicht zu sagen. Seckford erhob sich schwankend. »Noch einen Becher Bier, Sir? Ich weiß, dass ich welches brauche.«
»Nein, vielen Dank.« Ich erhob mich ebenfalls. Der Geistliche sah mich an, Verzweiflung in den Augen. »Trinkt mit mir, Sir«, sagte er. »Es beruhigt das Gemüt. Kommt.«
»Ich habe einen weiten Weg hinter mir, Herr Kurat«, antwortete ich freundlich. »Ich bin sehr müde, muss mich ausruhen. Aber ich danke Euch, dass Ihr mir die Geschichte erzählt habt. Es fiel Euch schwer, das war nicht zu übersehen. Ich wäre ungern an Eurer Stelle gewesen.«
»Wird Euer Mandant nach ihr suchen?«
»Alles wird sich fügen, das verspreche ich Euch.«
Er nickte, und seine Miene war bewegt, als er seinen Becher erneut füllte.
»Gestattet mir noch eine letzte Frage. Was geschah mit Ellens Haus?«
»Es wurde verkauft, wie Priddis es angekündigt hatte. An Master Humfrey Buttress, den hiesigen Müller. Er besitzt es noch heute.« Der Pfarrer lächelte freudlos. »Einer von Master Priddis’ Spießgesellen, ich möchte wetten, das Haus wurde billig verkauft. Master Buttress hatte seine eigenen Dienstboten, und so fanden sich Jane Wright und die Übrigen alsbald auf der Straße. Im Jahr darauf, während der großen Dürre, ist sie hungers gestorben, und sie war nicht die Einzige. Sie war alt und ohne Stellung.« Der Pfarrer stützte sich mit einer Hand am Schrank ab. »Ich bete darum, dass Euer Freund in London Ellen findet und ihr beisteht, wenn sie überhaupt noch lebt. Aber ich flehe Euch an, erzählt niemandem, was ich über Priddis sagte, Mistress West oder Master Buttress. Wenn den Obrigkeiten dergleichen zu Ohren käme, bekäme ich nach wie vor Verdruss. Mein Vorgesetzter will mich aus dem Amte drängen, wisst Ihr, er ist ein radikaler Reformer, ich dagegen – ich kann mich mit den neuen Bräuchen nur schwer anfreunden.«
»Ich verspreche es Euch.« Ich schüttelte seine zitternde Hand und ließ ihn allein.
* * *
Mein Gewissen drückte mich, als ich hügelab wieder dem Orte zuging. Ich wünschte, ich hätte ihm sagen können, dass Ellen noch am Leben war, dass sie zumindest den Anschein eines Lebens hatte, ehe ich erneut darin herumgerührt hatte. Ich glaubte, dass in jener Nacht vor langer Zeit abgesehen von der Feuersbrunst noch eine Vergewaltigung stattgefunden hatte. Wieder musste ich an Ellens Worte denken –
Sie waren zu kräftig! Ich konnte mich nicht bewegen! Der Himmel über mir – er war so weit – so weit, dass er mich hätte verschlingen können!
Außerdem war Ellens Kleid zerrissen gewesen und voller Grasflecken. Aber wer waren die Männer, die ihr das angetan hatten?
Während ich meinen Gedanken nachhing, achtete ich wenig auf meine Umgebung. Hagedornhecken säumten den Weg, und plötzlich traten mir aus einer Lücke zwei Männer in den Weg. Sie waren in den Dreißigern und dem Anschein nach Tagelöhner. Sie kamen mir irgendwie bekannt vor. Der eine verneigte sich leicht. »’n Abend, Herr«, sagte er.
»Guten Abend.«
»Ihr seid das also, der unserem Herrn Vater alte Geschichten aus der Nase zieht.« Jetzt erst erkannte ich in ihren schmalen, scharf geschnittenen Gesichtern die Ähnlichkeit mit Wilf.
»Ich habe ihn doch nur gefragt, was es mit dem Brand in dem alten Eisenwerk auf sich hatte.« Ich blickte mich um. Wir waren die Einzigen auf dem schattigen Weg, und ich wünschte mir von Herzen, Barak wäre jetzt an meiner Seite.
»Ihr habt wohl mit dem alten Pfarrer Seckford gesprochen, wie?«
»So ist es. Euer Herr Vater schickte mich zu ihm.«
»Vater ist ein altes Waschweib. Er reimt sich seit Jahren alles Mögliche zusammen, was dieses Feuer angeht, behauptet, das Urteil ergebe keinen Sinn, es seien Tatsachen verschwiegen worden. Wir sagen ihm unentwegt, es seien alte Geschichten, er solle
Weitere Kostenlose Bücher