Der Pfeil der Rache
meinte, Hugh gehe zwar zuweilen durchs Dorf, drehe aber, einen Gruß murmelnd, den Kopf beiseite, sobald er jemandem begegne.«
»Er schämt sich vermutlich, seiner Narben wegen.«
»Einige von den Dorffrauen halten Abigail für eine Hexe und Lamkin für ihren Gehilfen. Sogar die Diener im Haus fürchten sich vor ihrer unberechenbaren Tobsucht. Und offensichtlich ist es nicht wahr, dass die hiesigen Honoratioren Hobbey meiden, weil er das Kloster gekauft hat. Die Familie lebt von sich aus sehr zurückgezogen, verlässt kaum jemals den Besitz, nur Hobbey reitet gelegentlich nach Portsmouth oder London.«
Ich runzelte die Stirn. »Wovor hat Abigail denn Angst?«
»Das habe ich Ettis auch gefragt. Er hatte keine Ahnung. Ich erzählte ihm auch, dass uns im Wald knapp ein Pfeil verfehlt habe. Er war ebenfalls ziemlich sicher, dass wir einen Wilddieb überrascht hatten und dieser uns vertreiben wollte.«
»Eine Erleichterung.«
»Ich habe auch mit Ursula gesprochen. Ich sagte ihr, ich sei in Ettis’ Haus gewesen, und konnte sie überzeugen, mir zu vertrauen. Sie hasst ihre Herrschaft. Hobbey habe ihr Bescheid gestoßen, weil sie jene Blumen auf dem Friedhof abgelegt hatte. Geweihte Erde, die man langsam vor sich hin faulen lasse, wie sie es ausdrückte. Abigail sei schon immer überspannt gewesen und sehr jähzornig, aber in letzter Zeit sei sie ganz und gar in sich gekehrt.« Er hob die Augenbrauen. »Seit sie von Eurem Kommen wusste.«
»Was sagte Ursula über die beiden Burschen?«
»Nur, dass David ein kleiner Unhold sei. Ich hatte den Eindruck, sie könne noch mehr wissen, aber sie ließ sich nichts mehr entlocken. Hugh wisse zwar, was sich gehört, sagte sie, sei aber viel zu still für einen Knaben in seinem Alter. Sie mag sie beide nicht leiden. Ich fragte sie, ob sie etwas gesehen habe an dem Tag, als Michael Calfhill hergekommen sei.«
»Und?«
»Leider nicht. An diesem Tag hatte sie auf der anderen Seite des Hauses zu tun.«
»Verflucht!«
»Hier wird man auf Schritt und Tritt beobachtet, genau wie bei Hofe.«
»Wohl wahr«, stimmte ich ihm zu. »Ich habe vorhin mit Avery gesprochen, er sagte dasselbe. Er war früher Förster der Priorei Lewes. Cromwell ließ sie von denselben Leuten niederreißen, die auch die Abtei Scarnsea zerstörten, in der ich den Mord an einem seiner Kommissare aufklären sollte. Und erinnerst du dich noch an jene Familie Wentworth? Während der Angelegenheit mit dem Griechischen Feuer? Weißt du noch, wie viel bei diesen Leuten im Argen war und vertuscht werden musste?« Ich seufzte. »Seltsam. Vorige Nacht träumte mir wieder vom Ertrinken; ein bleibendes Andenken an die Ereignisse in York und den Albtraum der Offenbarungsmorde. Seltsam, wie die Vergangenheit einen immer wieder einholt.«
»Dazu lasse ich es gar nicht erst kommen.« Barak sah mich forschend an. »Was ist in Rolfswood passiert? Ihr verschweigt mir etwas, ich kann es sehen.«
Unsere Blicke kreuzten sich. Er sah müde aus, was zum Teil der angespannten Stimmung an diesem Ort, zum Teil auch der Sorge um Tamasin geschuldet war. Auch ich war müde, war das Lügen leid. Ich musste jemandem erzählen, was ich in Rolfswood erfahren hatte. Also erzählte ich ihm die Geschichte von dem Brand und alles, was ich von Wilf, Seckford und Buttress gehört hatte, dazu die Drohungen durch die Söhne des Alten.
»Neunzehn Jahre sind seither vergangen, und die Menschen fürchten sich noch immer vor losen Zungen.« Er überlegte. »Was, meint Ihr, hat sich dort zugetragen?«
»Eine Schändung. Vielleicht sogar ein Mord.« Ich sah ihn an. »Und morgen reiten wir nach Portsmouth und sprechen mit Priddis, der damals die Todesursache zu ermitteln hatte. Ich glaube nicht, dass ich Rolfswood erwähnen sollte.«
»Ihr hegt also die Befürchtung, er könne mit Leuten im Bunde sein, die Ellen schaden wollen?«
»Jawohl. Und Philip West ist ebenfalls in Portsmouth. Ich habe Guy gebeten, nach Ellen zu sehen, und Hob Gebons Geld gegeben, damit er auf sie achtgibt, trotzdem mache ich mir Sorgen. Es ist eine vertrackte Situation. Wenn Mord im Spiel war, hängt Ellens Sicherheit seit neunzehn Jahren am seidenen Faden. Wenn sie erneut die Fassung verliert und weitere Details des Geschehens preisgibt, was dann? Wer immer es ist, der für ihren Aufenthalt im Bedlam aufkommt, könnte auf die Idee verfallen, sie vorsichtshalber aus dem Weg zu räumen. Und wer über die nötigen Mittel verfügt, um Gebühren und Betreuer für das Bedlam zu
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