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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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dass die grauhaarige Frau mich eingehend musterte und dabei leicht zitterte.
    »Ausgezeichnet. Ich werde Euch zu ihr führen. Lady Elizabeth ist bei ihr.«
    * * *
    Im üppig geschmückten Kabinettszimmer saßen vier reichgewandete Kammerzofen, allesamt mit dem Wappen der Königin an den Hauben, am Fenster und stickten. Der Blick ging in den erlesenen Palastgarten mit seinen Blumenbeeten, Fischteichen und mythischen Figuren. Alle Damen erhoben sich und nickten knapp zurück, als ich mich verneigte.
    Königin Catherine Parr saß in der Mitte des Saales auf einem roten Samtsessel unter einem purpurfarbenen Baldachin. Neben ihr kniete ein Mädchen von etwa elf Jahren und streichelte ein Hündchen. Die Kleine hatte ein blasses Gesicht, langes, rötliches Haar, trug ein grünes Seidenkleid und eine lange Perlenkette. Sie war gewiss Lady Elizabeth, die jüngere Tochter des Königs mit Anne Boleyn. Heinrich hatte im Jahr zuvor Elizabeth und ihre Halbschwester Mary, die Tochter der Katharina von Aragon, wieder in die Thronfolge eingeschlossen, angeblich auf Betreiben seiner Königin. Doch ihr unehelicher Status blieb bestehen; und so galten sie nach wie vor als Edeldamen, nicht als Prinzessinnen. Und während Mary, bereits Mitte zwanzig, bei Hofe eine bedeutende Rolle spielte und in der Thronfolge nach dem jungen Prinzen Edward an zweiter Stelle kam, war Elizabeth, die von ihrem Vater verachtet und abgelehnt wurde, kaum jemals in der Öffentlichkeit zu sehen.
    Warner und ich verneigten uns tief. Nach kurzer Pause begrüßte uns die Königin mit ihrer klaren, wohltönenden Stimme: »Seid mir willkommen, Gentlemen.«
    Schon vor ihrer Heirat war Catherine Parr eine elegante Erscheinung gewesen, nun aber, in einem mit Goldlitzen verzierten, in Silber und Rostrot gewirkten Gewand, bot sie einen überwältigenden Anblick. Am Mieder prangte eine mit Perlen behangene Goldbrosche. Ihr Gesicht, mehr anziehend als hübsch zu nennen, war dezent gepudert, das rotgüldene Haar nach französischer Manier unter einer runden Haube gefangen. Ihre Miene war freundlich, aber wachsam, wobei der förmlich ernste Mund erahnen ließ, dass ihn inmitten der steifen Pracht jederzeit ein Lächeln umspielen konnte. Sie wandte sich an Warner: »Wartet sie vor der Tür?«
    »Ja, Euer Gnaden.«
    »Setzt Euch zu ihr, ich werde sie sogleich hereinbitten. Ist sie noch immer voller Furcht?«
    »O ja.«
    »Dann redet ihr gut zu.« Warner verneigte sich und ging hinaus. Ich bemerkte, dass die Kleine mich eingehend musterte, während sie das Hündchen streichelte. Die Königin sah sie an und lächelte.
    »Nun, Elizabeth. Dies ist Master Shardlake. Stelle deine Frage, dann gehe und übe dich im Bogenschießen. Master Timothy wartet gewiss schon.« Sie wandte sich wieder mir zu, ein nachsichtiges Lächeln auf den Lippen. »Lady Elizabeth hat eine Frage bezüglich der Pflichten eines Rechtsanwaltes.«
    Ich wandte mich zögernd dem Kind zu. Es war nicht eigentlich hübsch zu nennen, Nase und Kinn um ein Quäntchen zu lang, die Augen blau, wie diejenigen des Vaters, der Blick klug. Doch im Gegensatz zu Heinrichs Augen bargen jene der Tochter keine Grausamkeit in sich, nur eine große, forschende Neugier. Ein kühner Blick für ein Kind, aber sie war ja auch kein gewöhnliches Kind.
    »Sir«, sagte sie mit klarer, ernster Stimme. »Ich weiß, dass Ihr ein Rechtsanwalt seid und dass meine Frau Mutter große Stücke auf Euch hält.«
    »Ich danke Euch.« Demnach betrachtete sie die Königin als ihre Mutter.
    »Nun ist mir aber zu Ohren gekommen, dass Anwälte schlechte, ehrlose Menschen seien. Angeblich vertreten sie einen Schurken ebenso bereitwillig wie einen Gerechten. So ein Anwalt, heißt es, habe sein Haus auf den Häuptern von Narren errichtet und nutze die Winkelzüge seiner Zunft als Fallstricke, in denen die Menschen sich verfangen. Was meint Ihr dazu, Sir?«
    Die ernste Miene des Mädchens zeigte mir, dass sie mich keineswegs verhöhnen, sondern meine Antwort hören wollte. Ich holte tief Luft. »Mylady, man hat mich gelehrt, dass ein Anwalt jeden Menschen vertreten sollte, ohne Ausnahme. Ein Rechtsanwalt muss unparteiisch sein, damit er einen jeden, sei er nun gut oder schlecht, gewissenhaft vor dem Königlichen Gericht verteidigen kann.«
    »Aber ein Rechtsanwalt muss doch ein Gewissen haben, Sir. Sein Herz muss ihm doch sagen, ob die Sache, für die er streitet, auch wirklich gerecht ist.« Elizabeth sprach mit Leidenschaft. »Wenn ein Mann zu Euch käme,

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