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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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damit die Damen am Fenster unser Gespräch belauschen konnten. Niemand sollte jemals behaupten können, Catherine Parr habe eine heimliche Unterredung mit einem Manne geführt, den der König nicht mochte.
    »Nein, Euer Gnaden«, antwortete ich. »Das nicht.«
    Sie nickte, runzelte nachdenklich die Stirn und fragte: »Matthew, habt Ihr Erfahrung mit dem Court of Wards?«
    Ich blickte sie überrascht an. »Nein, Euer Gnaden.« Der Court of Wards, das Vormundschaftsgericht, war vor einigen Jahren vom König gegründet worden, um die Kronlehen minderjähriger Waisen im ganzen Lande zu verwalten, deren Vormundschaft an ihn fiel. Es gab keinen korrupteren Gerichtshof in England und keinen Ort, an dem die Wahrscheinlichkeit geringer war, Gerechtigkeit zu erfahren. Dort würden, falls vorhanden, auch die Gutachten zu Ellens Unzurechnungsfähigkeit lagern, da der König auch die juristische Oberhoheit über die Geisteskranken innehatte.
    »Einerlei. Der Fall, von dem ich möchte, dass Ihr ihn löst, erfordert vor allem Aufrichtigkeit, und Ihr kennt ja die Sorte von Anwälten, die sich auf Vormundschaften spezialisieren.« Sie neigte sich zu mir vor. »Würdet Ihr einen solchen Fall übernehmen? Für mich? Ich möchte lieber Euch damit betrauen als Master Warner, weil Ihr mehr Erfahrung im Umgang mit dem einfachen Volke habt.«
    »Ich müsste meine Kenntnisse auf diesem Gebiet ein wenig auffrischen. Ansonsten sehr gern.«
    Sie nickte. »Ich danke Euch. Noch eines solltet Ihr wissen, ehe ich Eure Mandantin zu uns hereinrufe. Master Warner sagte mir, bei Vormundschaftsfällen sei es üblich, dass die Anwälte sich zu den Familien der jungen Mündel begeben, um Zeugenaussagen zu sammeln.«
    »Ja, in der Tat. Dergleichen gilt für jedes Gericht, Euer Gnaden.«
    »Der Jüngling, um den es in unserem Falle geht, lebt in Hampshire, unweit von Portsmouth.«
    Der Weg dorthin führte von London aus durch West Sussex. Ellens Heimat.
    Die Königin zögerte, wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. »Die Gegend um Portsmouth könnte in den kommenden Wochen ein wenig unsicher werden.«
    »Der Franzosen wegen? Aber es heißt doch, sie könnten überall einfallen.«
    »Durch unsere Kundschafter in Frankreich wissen wir, dass ihre Schiffe vermutlich auf Portsmouth zuhalten. Es ist nicht ganz gewiss, aber doch wahrscheinlich. Ich möchte Euch nicht bitten, den Fall zu übernehmen, ohne Euch über die möglichen Gefahren in Kenntnis zu setzen, zumal Master Warner meinte, die Aussagen der Zeugen würden dringend gebraucht.«
    Ich sah sie an und ahnte, wie viel ihr daran gelegen war, dass ich mich mit dem Fall befasste. Und wenn ich bei dieser Gelegenheit über Rolfswood reisen konnte –
    »Ich übernehme den Fall«, sagte ich.
    »Ich danke Euch.« Sie lächelte und wandte sich an die Damen. »Jane, bitte hole Mistress Calfhill herein.«
    »Nun denn«, sagte sie leise zu mir, »Bess Calfhill, die Ihr gleich kennenlernen werdet, stand in meinen Diensten, als ich noch Lady Latimer war. Sie war die Wirtschafterin auf einem unserer Güter im Norden, später begleitete sie mich nach London. Eine brave, treue Seele. Unlängst jedoch hat sie einen großen Verlust erlitten. Behandelt sie mit Güte. Wenn jemand Gerechtigkeit verdient hat, dann Bess.«
    Die Kammerzofe holte die Frau herein, die ich im Audienzsaal gesehen hatte. Sie war klein, wirkte zerbrechlich. Sie trippelte nervös auf mich zu, die Hände fest ineinander verschlungen.
    »Komm her, meine gute Bess«, sagte die Königin in aufmunterndem Ton. »Dies hier ist Sergeant Shardlake. Jane, bring uns einen Stuhl. Und auch einen für Sergeant Shardlake.«
    Mistress Calfhill setzte sich auf einen gepolsterten Stuhl, und ich nahm ihr gegenüber Platz. Sie musterte mich eindringlich aus klaren graublauen Augen in einem zerfurchten, unglücklichen Gesicht. Sie runzelte einen Moment lang die Stirn, hatte vielleicht meinen Buckel bemerkt. Dann wandte sie sich der Königin zu, und beim Anblick des Hündchens glätteten sich ihre Züge.
    »Er heißt Rig, Bess«, sagte die Königin. »Ist er nicht ein feiner Bursche? Komm, du darfst ihn streicheln.«
    Zögernd beugte Bess sich hinunter und berührte das Tier, das sogleich mit dem Schwänzchen wedelte. »Bess mochte Hunde schon immer«, erklärte die Königin, und ich erkannte, dass Rigs Anwesenheit dazu beitragen sollte, die alte Magd zu beruhigen. »So, Bess«, sagte die Königin. »Nun erzähle Sergeant Shardlake, was du auf dem Herzen hast. Habe keine

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