Der Pfeil der Rache
einzelnen Mann brauchen, wenn die Franzosen hier landen.« Sein Blick war ernst. »Ihre Galeeren sind groß und schnell, unseren Galeassen weit überlegen, und an den Rudern sitzen Sklaven, die viel Erfahrung haben in der Kriegsführung im Mittelmeerraum. Und sie haben zwei Dutzend davon.« Er maß mich finster. »Wisst Ihr, wie viele dieser Galeeren wir haben?« Ich schüttelte den Kopf. »Eine einzige.«
»Und wann kommen sie?«
»In ein, zwei Wochen, je nach Wetterlage, wie immer auf See.«
Ich hätte gern über Coldiron gesprochen, sah jedoch, dass Leacon es eilig hatte. Wir hatten das Lager hinter uns gelassen. Da deutete Barak auf die Stelle, wo die Männer sich im Schießen übten, und lachte: »Seht Euch das an!«
Hugh und David, Hobbeys Anweisungen zum Trotz, waren abgestiegen und hatten sich zu den Bogenschützen gesellt. Hugh hatte sich einen Langbogen ausgeborgt, und ich sah zu, wie er einen Pfeil abschoss. Er traf die Auster, und sie zerfiel in ein Dutzend Scherben. Die Soldaten klatschten Beifall. Ich bemerkte Sulyard in der Gruppe; Pygeon, sein Widersacher, stand ein wenig abseits. Ein Mann eilte zum Zielhügel und befestigte eine neue Austernschale im Zentrum.
»Ein trefflicher Schütze, Sir«, sagte Llewellyn bewundernd zu Leacon.
Hugh gab den Bogen an David weiter. Davids Pfeil verfehlte die Auster um ein Haar, und er zog ein finsteres Gesicht.
»Wer sind diese Burschen?«, fragte Leacon neugierig.
»Der Sohn und das Mündel meines Gastgebers.« Hobbey und Dyrick redeten unterdessen aufgeregt auf Snodin ein, der die Hände in die Hüften gestemmt dastand, einen wilden Ausdruck im roten Gesicht. Hugh spannte erneut den Bogen, während wir auf Hobbey und Dyrick zuschritten.
»Holt sie auf der Stelle her!«, rief Hobbey Snodin zu, zorniger und erregter, als ich ihn jemals gesehen hatte. »Sagt Euren Männern, sie möchten die Übung abbrechen,
auf der Stelle
.«
»Aber sie müssen üben«, versetzte Snodin mit seiner tiefen Stimme. »Befehl von Sir Franklin Giffard persönlich.« Er winkte Leacon mit seiner fleischigen Hand zu. »Hier, redet mit unserem Herrn Hauptmann.«
Leacon nickte Hobbey und Dyrick knapp zu und beobachtete, wie Hugh einen weiteren Pfeil in die Auster jagte. Wieder zerbrach sie. Hobbey packte Leacon am Arm. »Seid Ihr der Kommandant dieses Haufens? Holt meine Jungen vom Schießplatz. Sie widersetzen sich meinen ausdrücklichen Anweisungen –«
Leacon schob Hobbeys Arm beiseite. »Eure Manieren behagen mir nicht, Sir«, wies er ihn scharf zurecht. »Sie mögen ja Knaben sein, aber nur wenige Erwachsene wären imstande, den Langbogen so kräftig zu spannen, geschweige denn so trefflich zu schießen. Sie müssen ausgezeichnet geübt haben.«
»Sie würden gute Rekruten abgeben«, stellte Snodin hinterhältig fest. »Vor allem der größere.«
»Unverschämter Hund!«, fuhr Hobbey ihn an.
Dyrick meldete sich zu Wort. »Hauptmann Leacon, wir haben in der Stadt eine Verabredung, mit dem Lehensrichter von Hampshire. Wir kommen zu spät.« Er blickte hinüber zum Tor. Das Hindernis war beseitigt worden, und die Karren rumpelten allmählich weiter. Der Bullenkäfig fuhr gerade zur Stadt hinein.
»Lasst Hugh und David lieber rufen«, sagte ich leise zu Leacon.
»Euretwegen gern, Master Shardlake. Ihr wisst, was sich gehört.« Er rief den Bogenschützen zu: »Schluss mit der Übung! Ihr zwei jungen Burschen, sofort zu mir!«
Widerwillig überließ Hugh den Bogen dessen Besitzer, und stapfte mit David zu uns herüber. Leacon empfing sie mit einem Lächeln. »Gut gemacht, Burschen. Feine Schüsse.« Er wandte sich an Hugh. »Ihr habt zweimal in Folge ins Schwarze getroffen, Bursche.«
»Wir üben jeden Tag.« Hugh betrachtete Leacon mit ehrfürchtiger Miene. »Sir, werden wir die Franzosen besiegen?«
»Du gewiss nicht!« Hobbey, immer noch wütend, packte ihn an den Schultern. David wich erschrocken zurück, einen bangen Ausdruck im Gesicht. Er hatte den gestrigen Vorfall nicht vergessen.
Hugh wandte sich Hobbey zu, sein Gesicht war plötzlich rot vor Zorn. »Lasst mich gehen!« Einen Augenblick lang fürchtete ich, er könne zuschlagen.
»Hugh«, sagte ich ruhig. Zu meiner Erleichterung schüttelte Hugh Hobbeys Arm ab und ging zurück zu den Pferden. »Bis später«, sagte ich zu Leacon. »Es tut mir leid.«
Er nickte. »An die Bögen, Burschen!«, rief er den Soldaten zu. Wir saßen auf und ritten hinauf zum Tor; Leacon und Llewellyn hatten es bereits passiert.
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