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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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waren. Ettis, ein hübsches Weib und drei Kinder an der Seite, kreuzte unseren Weg am Ende eines Feldwegs. Er verneigte sich und trat beiseite, um uns vorüberzulassen. Abigail sah ihn hasserfüllt an.
    * * *
    Die Kirche in Okedean war klein und mit den Gläubigen zweier Dörfer zum Bersten voll. Hier hielt man, wie in der Gemeinde von Kurat Seckford, noch weitgehend an den alten Bräuchen fest: Das Kircheninnere roch stark nach Weihrauch, die Heiligen standen noch in ihren Nischen. Ich fragte mich, was Hughs Eltern davon gehalten hätten, die doch überzeugte Verfechter der Reform gewesen waren. Hobbey, Dyrick und ich nahmen unserem gesellschaftlichen Rang gemäß Plätze ganz vorn ein, neben einem untersetzten Mann in mittleren Jahren und seiner überheblich dreinblickenden Frau, die uns Hobbey als die Herren des Nachbargutes vorstellte, Sir Luke und Lady Corembeck. Sir Luke, so Hobbey stolz, sei Friedensrichter und würde ebenfalls an der morgigen Jagd teilnehmen. Zum ersten Mal vernahm ich Unterwürfigkeit in seiner Stimme.
    Der Pfarrer ermahnte in seiner Predigt die Versammelten, sie möchten für die Verteidigung des Landes beten und arbeiten, und riet den Männern, sich an den Schießübungen der hiesigen Bürgerwehr zu beteiligen. Ich betrachtete das Gemälde hinter ihm, eine Darstellung des Jüngsten Gerichtes: Christus saß mit heiterer Miene auf dem Richterstuhl, Engel geleiteten die Tugendhaften in den Himmel, indes die Sünder, bleich und bloß, in ein Flammenmeer stürzten. Ich erinnerte mich, dass Feaveryear gesagt hatte, dass Soldaten und Seeleute, die in der Schlacht zu Tode kämen, ohne zum Heil gelangt zu sein, unweigerlich in der Hölle endeten. Wovor war er letzte Nacht davongelaufen? Wo war er?
    Nach dem Gottesdienst wechselte Hobbey vor der Kirchenpforte noch einige Worte mit Sir Luke, während Dienerschaft und Dorfleute an uns vorübergingen. Lady Corembeck richtete mehrmals das Wort an Abigail, doch sie war in Teilnahmslosigkeit versunken und gab nur einsilbige Antworten. Schließlich nahm Hobbey unter vielen Verneigungen Abschied von den Gutsleuten, und wir schritten den Pfad entlang zum Friedhofstor. Dahinter wartete eine Gruppe von etwa dreißig Dorfleuten aus Hoyland, ganze Familien, die sich uns in den Weg stellten, angeführt von Ettis. Ich hörte, wie Hobbey die Luft einsog.
    Ettis baute sich kühn vor ihm auf, einen harten Ausdruck im kantigen Gesicht. Fulstowe trat an Hobbeys Seite und legte die Hand an den Dolch.
    »Das ist nicht nötig, Master Fulstowe«, sagte Ettis still. »Ich will Eurem Herrn nur etwas sagen.« Er wies auf die Dorfleute hinter ihm. »Seht Ihr diese Menschen, Master Hobbey? Seht sie Euch genau an, denn einige von ihnen hat Euer Steward dazu gedrängt, ihr Land aufzugeben. Meine Anhängerschaft wächst. Wir haben die Absicht, unser Anliegen dem Court of Requests vorzutragen.« Dyrick blickte mich argwöhnisch an. Ettis fuhr fort: »Seid also gewarnt, Sir, haltet Eure Männer von unseren Wäldern fern, denn sie werden bald Gegenstand einer Gerichtsverhandlung sein. Ich sage es Euch vor allen Anwesenden, einschließlich unseres Friedensrichters, Sir Luke Corembeck.«
    Abigail trat auf ihn zu. »Elender Schurke, dass Ihr es wagt, uns so zu peinigen!«, schrie sie ihm ins Gesicht.
    Ettis starrte sie verächtlich an. Da rannte David an seiner Mutter vorbei und baute sich, rot im Gesicht, vor den Dorfleuten auf. »Eichelfresser! Grobe Klötze! Tumbes Vieh! Sobald ich hier der Herr bin, müsst ihr allesamt gehen, betteln sollt ihr auf Knien, betteln!«
    Einige der Dorfleute lachten. »Verkriech dich bei deiner Amme!«, rief einer.
    David blickte in hilflosem Zorn um sich. Plötzlich verzerrten sich seine Züge, seine Gliedmaßen verfielen in krampfartige Zuckungen, seine Augen rollten nach oben, und er stürzte zu Boden. Die Dorfleute wichen einen Schritt zurück; banges Raunen wurde unter den Frauen laut. Abigail schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte auf. David lag heftig zuckend auf dem Boden, gleich einer Marionette.
    »Was ist mit ihm?«, rief jemand aus.
    »Er ist besessen, holt den Pfarrer!«
    »Er hat die Fallsucht«, rief einer. Wieder stöhnte Abigail auf.
    So war es in der Tat; ich hatte dergleichen schon gesehen. Es war jene gefürchtete Krankheit, bei der die Betroffenen die meiste Zeit normal wirkten, aber ohne ersichtlichen Grund, gleichsam aus heiterem Himmel, niedergestreckt werden konnten, um dann zuckend am Boden zu liegen. Die einen hielten dies

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