Der Pfeil der Rache
für eine Art Irrsinn, die anderen für eine Form der Besessenheit.
Abigail kniete nieder und versuchte, ihren Sohn zu beruhigen. »So hilf mir doch, Ambrose, um der Barmherzigkeit willen!«, rief sie. »Er beißt sich doch die Zunge durch!« Demnach ist es nicht das erste Mal, dachte ich.
Fulstowe löste den Dolch vom Gürtel und schob David den ledernen Griff zwischen die Zähne. Die Lippen des Jungen waren jetzt mit weißem Schaum bedeckt. Ich sah, wie Dyrick erstaunt zusah. Hobbey starrte auf seinen Sohn, dann in die umstehende Menge. Er rief, mit einer Stimme voller Wut und Schmerz: »So, nun habt ihr es ja gesehen! Jetzt geht in Gottes Namen, lasst uns allein!« Hugh neben ihm blickte ausdruckslos auf David hinunter. Kein Mitleid, nichts.
Die Dorfleute rührten sich nicht vom Fleck. Eine Frau sagte: »Erinnert euch an jenen Zimmermann, der ins Dorf kam – auch er hatte die Fallsucht!«
»Jawohl, wir haben ihn mit Steinen hinausgejagt!«
Sir Luke Corembeck schaltete sich ein. »Geht gefälligst nach Hause, Leute!«, rief er.
Die Menge zerstreute sich, obwohl die Leute David furchtsam und voller Abscheu im Auge behielten. Er blieb noch einen Moment lang liegen und setzte sich dann stöhnend auf. Er blickte zu seiner Mutter auf. »Mein Kopf tut weh«, sagte er und begann zu weinen.
Hobbey kam zu ihm. »Du hattest einen Anfall«, sagte er sanft. »Ist ja gut, er ist vorbei.«
»Sie haben es alle gesehen?«, fragte David erschrocken und blickte wild um sich, das Gesicht tränennass. Hobbey und Fulstowe halfen ihm auf die Beine.
»Es tut mir leid, David«, sagte Hobbey sanft zu seinem Sohn. »Ich hatte befürchtet, dass dies eines Tages geschehen würde. Ettis und seine Bande haben schuld.« Er wandte sich an Sir Luke. »Ich danke Euch, Sir, dass Ihr sie fortgeschickt habt.« In diesem Moment musste ich Hobbeys Würde bewundern. Er schluckte schwer und fuhr dann fort: »Ihr habt es gesehen, mein Sohn leidet an der Fallsucht. Sie kommt selten, er braucht nur ein wenig Ruhe, dann ist alles wieder im Lot.«
»Ettis und sein Gesindel waren die Auslöser«, sagte Sir Luke. »Bei Gott, weit sind wir gekommen, wenn Bauern sich gegen ihre Herren auflehnen.«
Wir folgten unseren Gastgebern, wobei Fulstowe und Hugh David von beiden Seiten stützten. Diese Krankheit stellte eine ernsthafte Belastung dar, denn David gälte fortan als gezeichnet, sowohl in höheren gesellschaftlichen Kreisen wie auch bei den Dorfleuten. Ich bedeutete Barak, er möge langsamer gehen.
»Was war denn das?«, fragte er.
»Ich hege den Verdacht, dass sie Davids Zustand seit Jahren verbergen. Dyrick wusste nichts davon – und war verwundert. Guter Gott, noch öffentlicher hätte das Ganze nicht vonstattengehen können. David Hobbey mag ein Gauner sein, aber so etwas hat er nicht verdient. Übrigens meine ich, dass Feaveryears Abreise andere Gründe hatte, als Dyrick zugeben wollte.« Ich erzählte ihm, was ich am Abend davor vom Fenster aus beobachtet hatte. »Er rannte, als hätte er den Teufel gesehen. Und Dyrick scheint irgendetwas große Sorgen zu machen.«
»Vielleicht hatte David schon gestern einen Anfall.«
»Nein, er stand mit Hugh am Schießplatz. Was immer dort draußen geschah, Feaveryear kam angerannt, um es Dyrick zu erzählen. Und jetzt ist er fort.«
»Als Abigail Euch Blindheit vorwarf, nachdem Lamkin totgebissen war, spielte sie vermutlich auf Davids Zustand an.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Sie würde meine Aufmerksamkeit ganz gewiss nicht auf Davids Verfassung lenken.« Ich musterte die Gruppe vor mir: Abigail wich ihrem Sohn nicht von der Seite. »Feaveryears Quartier schließt an das deine an. Hast du gehört, dass er wegging?«
»Ich hörte, wie kurz nach Sonnenaufgang eine Tür ins Schloss fiel, dann seine raschen kleinen Schritte, die sich entfernten. Ich dachte, er wolle früh beten.«
»Was hat ihn bloß dazu gebracht, so zu rennen, frage ich mich?« Ich wusste, dass sein Verschwinden von Belang war, aber nicht, warum.
kapitel dreißig
D er Wald war wunderbar friedvoll am frühen Morgen. Die Vögel tirilierten in den Bäumen; ein Eichhörnchen beäugte mich vom Ast einer Birke aus, und sein buschiger roter Schweif hob sich leuchtend ab vom grünen Laub. Ich saß auf einer kleinen Lichtung auf einem umgestürzten Stamm neben einer Eiche, behaglich in dem weiten Wams und Hemd, die ich für die Jagd angelegt hatte. Hinter mir jedoch hörte ich die raunenden Stimmen der
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