Der Pfeil der Rache
Mündels, soll diesen aber nur verwahren und nicht selbstsüchtig damit schachern. Freilich wird es nicht immer so gehandhabt. Außerdem darf der Vormund bestimmen, wen das Mädchen ehelichen soll«, fügte ich nachdenklich hinzu.
Bess sagte: »Michael hegte die Befürchtung, man könne Emma mit David verkuppeln, damit ihr Anteil an den Ländereien dem Besitz der Familie Hobbey zufiele. Die armen Kinder. Hugh und Emma hingen sehr aneinander, hatten ja sonst keinen mehr, auch wenn mein Sohn ihnen ein Freund war. Michael erzählte mir, dass Hugh sich einmal wegen einer unschicklichen Bemerkung Davids gegen Emma mit David geprügelt habe. Sie dürfte damals erst dreizehn Lenze gezählt haben. David war ein großer, kräftiger Bursche, aber Hugh lehrte ihn Mores.« Wieder sah sie mich eindringlich an. »Ich sagte Michael, er mache sich zu viele Sorgen um Hugh und Emma, er könne ihnen nicht Mutter und Vater ersetzen. Doch dann –« Ihr Blick wurde leer –, »dann hielten die Pocken Einzug bei den Hobbeys.«
Die Königin neigte sich vor und berührte Bess’ Arm.
»Alle drei Kinder wurden krank«, fuhr Bess wie versteinert fort. »Michael durfte nicht zu ihnen, er hätte sich anstecken können. Um Hugh und Emma kümmerte sich die Dienerschaft, David dagegen wurde von seiner Mutter selbst gepflegt, die weinend zu Gott betete, er möge ihren Sohn erretten. Ich rechnete ihr dies hoch an, denn ich hätte dasselbe für Michael getan.« Nach kurzer Pause stieß sie aus: »Bei David hinterließ die Krankheit keinerlei Spuren. Auch Hugh hat überlebt; allerdings hat er Narben zurückbehalten, die seine Schönheit zerstörten. Die kleine Emma jedoch starb.«
»Das tut mir leid.«
»Einige Tage später teilte Master Hobbey meinem Sohn mit, seine Frau wolle nicht länger in London leben. Man habe deshalb den Entschluss gefasst, endgültig nach Hampshire zu ziehen. Er, Michael, werde nicht mehr gebraucht. Michael sah Hugh niemals wieder, er und David wurden noch immer von der Außenwelt abgeschirmt. Man erlaubte Michael allenfalls, dem Begräbnis der armen Emma beizuwohnen. Und so musste er zusehen, wie ihr kleiner weißer Sarg der Erde übergeben wurde. Am selben Tag reiste er ab. Die Dienerschaft habe Emmas Kleider im Garten verbrannt, erzählte er mir, für den Fall, dass ihnen der Gifthauch der Krankheit anhafte.«
»Eine schreckliche Geschichte«, stellte ich leise fest. »Tod und Raffgier und Kinder sind die Opfer. Euer Sohn hätte nichts mehr tun können, Mistress Calfhill.«
»Das weiß ich ja«, sagte sie. »Master Hobbey schrieb Michael eine Empfehlung, und so fand er bald eine neue Stellung in London. Er sandte Briefe an Hugh, erhielt aber als Antwort nur ein förmliches Schreiben von Master Hobbey, der ihn bat, von weiterer Korrespondenz abzusehen, da man versuche, für den Jungen in Hampshire ein neues Leben aufzubauen.« Ihre Stimme wurde laut. »Wie grausam er war, nach allem, was Michael für diese Kinder getan hatte.«
»Hart in der Tat«, pflichtete ich bei. Und doch konnte ich auch Hobbeys Standpunkt verstehen. In London hatte der junge Hugh seine gesamte Familie verloren.
Bess fuhr tonlos in ihrer Schilderung fort. »So verstrich die Zeit. Ende des vergangenen Jahres schließlich begab Michael sich nach Dorset, trat in die Dienste eines Landeigners und unterrichtete dessen Söhne. Doch er konnte Hugh und Emma nicht vergessen, ihr Schicksal schien ihn regelrecht zu verfolgen. Er fragte sich oft, was wohl aus Hugh geworden sei.« Sie runzelte die Stirn und senkte den Blick.
Die Königin meldete sich zu Wort: »Komm, Bess, nun erzähle auch den letzten Teil der Geschichte, auch wenn es der schwerste ist.«
Bess sah mich an, nahm sich zusammen. »Michael kam zu Ostern aus Dorset zurück, um mich zu besuchen. Er sah entsetzlich aus, blass und bekümmert, fast wie von Sinnen. Den Grund dafür wollte er mir nicht verraten, doch nach einigen Tagen fragte er mich jäh, ob ich nicht einen Rechtsanwalt für ihn wüsste. Wozu denn das?, fragte ich. Zu meinem Erstaunen erklärte er mir, er wolle am Court of Wards den Antrag stellen, man möge Hugh frühzeitig aus der Vormundschaft entlassen.« Sie holte tief Luft. »Ich kennte keinen Rechtsanwalt, sagte ich und fragte, was ihn nach sechs Jahren zu diesem Schritt bewogen habe. Und er meinte, die Sache sei viel zu heikel für meine Ohren, könne nur einem Richter vorgetragen werden. Ehrlich, Sir, ich bangte um Michaels Verstand. Ich sehe ihn vor mir, wie er bei
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