Der Pfeil der Rache
zu schaffen machten. Mit klopfendem Herzen näherte ich mich der Klippe. Rauch stieg von jeder Leuchtbake entlang der Küste auf. Ich blickte auf die See jenseits von Portsea Island. Da blieb mir der Mund offen stehen, und ich zog heftig die Zügel an.
Die meisten Kriegsschiffe lagen noch im Solent vor Anker, obschon einige der kleineren sich im Hafen befanden, kleine Punkte von hier aus. Vor den Kriegsschiffen bewegte sich ein halbes Dutzend Punkte geschwind hin und her. Ich hörte etwas wie Donnergrollen, vermutlich Kanonenfeuer. Diese Schiffe waren so schnell und wendig, dass es sich um Galeeren handeln musste, dachte ich, ebenso groß wie die
Galley Subtle
. Dann gewahrte ich, am östlichen Zipfel der Isle of Wight, einen riesigen dunklen Fleck. Die französische Flotte hatte England erreicht. Die Invasion hatte begonnen.
teil sechs
die schlacht
kapitel dreiundvierzig
E ine Weile beobachtete ich die außergewöhnliche Szene in der Ferne. Die englischen Schiffe, vor Anker und mit gerefften Segeln, wirkten erschreckend verwundbar. Ich fragte mich, warum die riesige französische Flotte nicht näher kam, und nahm an, dass der Wind nicht günstig war. In einigem Abstand zu mir, unweit des brennenden Leuchtfeuers, beobachtete eine Gruppe Bauersfrauen stumm das Geschehen auf See. Sie machten bange Gesichter, und ich fragte mich, ob sie ihre Männer unter den Soldaten wussten.
Mein Instinkt sagte mir, ich sei zu spät, sollte kehrtmachen und nach Hause reiten. Aber Emma hatte allenfalls einen Vorsprung von drei Stunden; wenn sie tatsächlich nach Portsmouth geflüchtet war, wäre sie gewiss noch nicht im Einsatz. Ich dachte an ihre Wachsamkeit, ihre sorgsam überlegte Art zu sprechen. Bei dem Mangel an Soldaten bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie bereits rekrutiert worden war, zumal jetzt, da die Franzosen England erreicht hatten. Ich musste an Hobbeys Worte denken, Abigail habe Emma dabei geholfen, die Brüste zu verbergen, als sie größer wurden, und wie »Hugh« sich unbehaglich die Brust gerieben hatte. Wie viel Ungemach mochte sie ertragen haben in den vergangenen sechs Jahren?
Vor der Brücke, die das Festland mit Portsea Island verband, hatte sich seit dem Morgen alles verändert. Jetzt versuchten Menschen, von der Insel zu flüchten, anstatt auf die Insel zu kommen. Ein Strom von Menschen zog von der meerzugewandten Seite heran – Weiber mit Säuglingen, Kinder, alte Leute, auf Stöcke gestützt, alle versuchten der möglichen Belagerung zu entgehen. Die meisten waren arm; sie schleppten Bündel oder zogen klapprige Handkarren hinter sich her, worauf sich ihre Habseligkeiten stapelten. Ich musste daran denken, was Leacon mir von der französischen Landbevölkerung erzählt hatte, von den Leuten, die am Wegrand gebettelt hatten und Hungers gestorben waren. Sollte dergleichen auch hier geschehen?, dachte ich.
Ich ließ die Flüchtlinge passieren. Sie machten sich müde daran, Portsdown Hill zu erklimmen. Zwei alte Eheleute zankten sich darum, ob sie den Karren stehen lassen sollten, der ein schäbiges Rollbett enthielt, ein paar alte Kleider, Zinnteller und ein paar Schemel. Sie sollten gefälligst den Weg frei machen, riefen ihnen die Leute zu. Dann hörte ich Trommeln, und ein mit diversen Waffen bestückter Bürgerwehrtrupp marschierte geschwind den Hügel hinunter. Die Flüchtlinge sprangen beiseite. Die Soldaten schritten eilig an mir vorüber, wobei der Halbharnisch, den einige angelegt hatten, schepperte und rasselte. Die Wachsoldaten an der Brücke salutierten, als sie in einer Wolke gelben Staubs hinübertrampelten.
Als sie fort waren, ritt ich auf den Wachmann zu, der mir am nächsten stand, und fragte ihn nach Neuigkeiten. Er blickte mich verdrießlich an. »Die Franzmänner sind da, das ist passiert.« Er war ein Rekrut, der es normalerweise nicht gewagt hätte, mit einem Mann meines Standes in diesem Ton zu sprechen, doch der Krieg löste gesellschaftliche Grenzen auf.
»Kann ich in die Stadt gelangen?«
»Alle versuchen, daraus zu entfliehen.«
»Ich muss jemanden herausholen, einen Freund.«
»Tja, Herr Rechtsanwalt, wenn Ihr die Wachen überreden könnt, Euch einzulassen, wünsche ich Euch recht viel Glück.« Wider Willen beeindruckt, winkte er mich weiter.
* * *
Auf Portsea Island waren die Soldatenzelte zwar noch aufgebaut, aber sie standen allesamt leer, nur eine Handvoll Männer hielt Wache. Kleine Gegenstände lagen hier und da im Gras verstreut – eine Schüssel,
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