Der Pfeil der Rache
zurück? – harrte ich der Dinge, die da kommen sollten, während der Soldat zwischen den Zelten verschwand. Ich blickte zum Southsea Castle hinüber; die buntgekleideten Gestalten blickten noch immer auf die See hinaus. Ich vernahm fernes Kanonenfeuer vom Meer her – vermutlich die französischen Galeeren, die jetzt auf unsere Schiffe feuerten – und erschauerte bei dem Gedanken, welch ein gewaltiges Ziel die
Great Harry
abgeben würde. Dasselbe galt für die
Mary Rose
, auf der Philip West Dienst tat.
Zwei Offiziere im Halbharnisch traten aus den vordersten Zelten. Sie schritten schnell und erregt sprechend an mir vorbei. »Warum hat d’Annebault so wenig Galeeren nach vorne gebracht? Die meisten liegen noch immer vor der Inselküste –«
Der Soldat kehrte in Begleitung eines Kameraden zurück, und beide hielten eilig auf mich zu. Als sie bei mir waren, sagte er, diesmal in respektvollem Ton: »Bitte folgt mir, Sir. Dieser Mann übernimmt Euer Pferd.« Der zweite Soldat rückte eine Steighilfe neben Oddleg, damit ich absitzen konnte. Ich verspürte eine Woge der Erleichterung, zumal ich schon bezweifelt hatte, dass ein vielbeschäftigter Beamter überhaupt Zeit für mich fände.
Ich stieg vom Pferd. »Habt Dank«, sagte ich. »Ich werde seine Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.«
Der Soldat nickte und führte mich zu den Zelten. Einige standen offen, und ich sah darin Soldaten und Beamte an behelfsmäßigen Tischen sitzen und angeregt sprechen. Wir erreichten ein großes kegelförmiges Zelt im Zentrum des Lagers, elfenbeinfarben mit einem blauen Muster an der Spitze, der Eingang halb geschlossen. Der Soldat winkte mich hinein.
Im Halbdunkel saß ein Mann, das Haupt über Papiere gebeugt, an einem Tisch. Darauf standen eine Glocke und ein Kerzenleuchter. Der Mann trug ein vornehmes Wams aus grüner Seide.
Ich nahm die Kappe vom Kopf. »Habt Dank für die Zeit, Herr Quartiermeister«, sagte ich. »Ich bitte Euch –« Da hob der Mann den Kopf, und ich hielt abrupt inne.
Richard Rich grinste. »Gut«, sagte er ruhig, Genugtuung in der Stimme. »Willkommen in meinem Zelt. Ihr seid also wegen des Burschen hier. Vielmehr der Jungfer. Ich dachte es mir schon.«
Ich starrte ihn an. »Wo ist Emma?«
Wieder lächelte er und zeigte dabei die scharfen kleinen Zähne. »Recht sicher verwahrt, fürs Erste. Sie ist Mitglied in der Kompanie von Hauptmann Leacon, welche Master Philip West unter seine bewährten Fittiche genommen hat. Auf der
Mary Rose
. Und nun, Master Shardlake, werden wir uns einmal gründlich unterhalten.«
kapitel vierundvierzig
S chemel wurden vor den Tisch gerückt, und Rich bedeutete mir, Platz zu nehmen. Dann beugte er sich zu mir vor, die kleinen, gepflegten Hände gefaltet, und stützte sein Kinn darauf. Seine Ärmel raschelten. In seiner Miene las ich kindischen Spott, seine grauen Augen indes blickten kalt und hart drein.
»Wie ich höre, sind die französischen Galeeren auf dem Rückzug«, sagte er im Plauderton. »Mein Diener hat mir soeben die Nachricht überbracht. Was sich heute hier ereignete, war nur ein Scharmützel vor der eigentlichen Schlacht.« Sein Tonfall war noch immer angenehm höflich. »Morgen sieht es gewiss anders aus.«
»Wie ich höre, können unsere Kanonen sie von Portsmouth Haven fernhalten.«
»Das schon, aber wenn sie unsere Flotte dort oben einschließen – was sie vermutlich heute versuchten – oder gar versenken, könnten sie mit ihren Galeeren auf Portsea Island landen. Ihr habt gewiss die Kanonen gesehen, die bereitstehen, und die Pfähle im Boden zum Schutze unserer Bogenschützen.« Er hielt inne und ließ eine Zeitlang den Blick auf mir ruhen. »Tja, vielleicht kommt es zur großen Schlacht, unmittelbar dort draußen.« Er nickte in Richtung des Zelteingangs. Ich antwortete nicht. Lass ihn reden, dachte ich, bin gespannt, was er preisgibt. Ob er wohl ahnt, wie viel ich schon erraten habe? Vermutlich schon, sonst hätte er mich nicht zu sich holen lassen. Sir Richards unteres Augenlid zuckte, und da erkannte ich, wie gereizt er war.
»Kommen wir zur Sache«, sagte er jäh. »Diese Jungfer, wie? Verkleidet sich als Bursche und geht zu den Soldaten. Höchst merkwürdig.«
»Ihr wisst demnach, dass Hugh Curteys in Wahrheit Emma ist?«
»Jawohl. Wenn auch erst seit gestern. Mein alter Verbündeter, Sir Quintin Priddis, hat es mir erzählt, ehe wir vor der Guildhall unsere Unterredung hatten. Er hegte die Befürchtung, Ihr könntet die
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