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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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runzelte die Stirn. »Aber Euer Gönner war doch Thomas Cromwell, der Erzfeind der Königin.«
    »Oh, Cromwell wusste genau, dass ich ihm von Nutzen sein könnte.«
    »Bitte erzählt weiter, Sir Richard.« Er bedachte mich mit einem langen, kalten Blick, und bei dem Gedanken, was er mir antun würde, wenn ich nicht in der Gunst der Königin stünde, musste ich ein Schaudern unterdrücken.
    »Nachdem ich West verlassen hatte, wollte ich mir im Nachbardorf ein Pferd mieten. Doch ich verlief mich im Wald, und bald sah ich die Hand nicht mehr vor Augen. Da hörte ich West zwischen den Bäumen einherpoltern und unter Flüchen meinen Namen brüllen. Er vermisste den Brief. Und er kannte sich aus in diesem Wald, schließlich war er dort aufgewachsen. Dennoch gelang es mir, ihn abzuhängen, und als ich ein Licht vor mir erblickte, ging ich darauf zu. Ich dachte, es sei ein Haus oder Wirtshaus, wo ich ein Nachtlager fände.« Ein Schatten huschte über Sir Richards Gesicht, und ich erkannte, dass er sich gefürchtet hatte so allein im Wald.
    »Die Eisenhütte«, sagte ich.
    »Ja, es war die Eisenhütte von Master Fettiplace. Ein alter Mann hockte dort auf einem Strohlager und trank, was das Zeug hielt. Ich hätte mich verirrt, behauptete ich, und er beschrieb mir den Weg nach Rolfswood. Er überredete mich, ihm Gesellschaft zu leisten, vermutlich war er von Ehrfurcht ergriffen, aus heiterem Himmel einen Gentleman anzutreffen. In der Hoffnung, West möge die Suche aufgeben oder betrunken umfallen – was auch eingetroffen war, wie ich später erfuhr –, beschloss ich zu warten. Während ich dasaß, las ich das Schreiben des Königs. Das vermaledeite Siegel war im Gerangel um den Brief zu Bruch gegangen. Ich war bestürzt, da der König darin seine Absicht äußerte, Anne zu heiraten; er gedachte, den Papst auf seine Seite zu bringen, falls Katharina sich weigerte. Damit hatte ich nicht gerechnet, ich hatte geglaubt, der Brief enthalte nur alberne Koseworte an seine Geliebte.«
    »Ihr habt also den Brief Katharina von Aragon überbracht und sie somit über die Absichten des Königs informiert.«
    »So ist es. Beim Blute Gottes, der König war gewiss fuchsteufelswild, als West ihm den Verlust des Briefes gestehen musste. Erstaunlich, dass er seinen Kopf behielt. Im Jahr darauf, als der König vor Katharina hintrat, um ihr zu sagen, ihre Ehe widerspreche den biblischen Gesetzen, nur deshalb habe sie ihm noch keinen Sohn geboren, wusste sie bereits von seinen Plänen. Sie hatte Monate Zeit gehabt, in ihrem Zorn zu schmoren.«
    »Wenn der König wüsste, was Ihr getan habt –«
    »Katharina von Aragon sagte ihm nicht, dass sie jenen Brief abgefangen hatte. Sie pflegte ihre Diener zu beschützen, es war ihre Strategie, die Leute an sich zu binden. In jener Nacht begann ich meinen Aufstieg – und wechselte die Seiten, als ich im Zuge des nachfolgenden Gerangels erkannte, dass Anne Boleyn den Sieg davontragen würde.«
    »Also hat Wests Vergehen an Ellen eigentlich Euch zum Aufstieg verholfen.«
    »So könnte man es sagen. Aber ganz so einfach war es nicht. In jener Nacht, als ich in der alten Eisenhütte saß, schlug die Tür auf. Ich befürchtete schon, es sei West, er habe mich gefunden, aber es war das Mädchen, das auftauchte, völlig aufgelöst und mit stierem Blick. Als sie meiner ansichtig wurde, begann sie zu kreischen, deutete auf mich und schrie aus Leibeskräften: »Vergewaltigung!« Jener Gratwyck stellte den Becher beiseite, sprang auf und kam mit einem Stock in der Hand auf mich zu. Zum Glück hatte ich das Schwert bei mir und hieb auf ihn ein. Ich tötete ihn nicht, aber er stürzte in das Feuer, an welchem er sich gewärmt hatte, und einen Augenblick später stand er in Flammen und stolperte brüllend einher.« Rich hielt inne und sah mich an. »Es war Notwehr, versteht Ihr, nicht Mord. Ich gebe zu, dass ich erschrocken war, und als ich mich zu dem Mädchen umdrehte, da war es fort.
    Ich lief in die Nacht hinaus, hinter ihr her, aber sie blieb verschwunden. Nun galt es nachzudenken, was zu tun war. Ich kehrte zu der Eisenhütte zurück, aber sie brannte schon lichterloh. Gratwyck im Innern kreischte noch immer. Ich lief also den Mühlteich entlang und suchte nach dem Mädchen.«
    »Was hättet Ihr getan, wenn Ihr sie gefunden hättet?«
    Er zuckte die Schultern. »Ich fand sie nicht. Stattdessen stieß ich auf einen älteren Mann im Morgenrock.«
    »Master Fettiplace.«
    »Er schrie: ›Wer seid Ihr?‹ Er

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