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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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blätterte sie durch. Nach einer Weile blickte er auf. »Niemand namens Fettiplace, Sir.«
    »Seid Ihr sicher? Auch keine Namensähnlichkeit?«
    »Nein, Sir. Wisst Ihr genau, in welchem Jahr sie für unzurechnungsfähig erklärt wurde?«
    »Versucht es mit den Jahren davor und danach.«
    Mylling erhob sich bedächtig, auf den Beinkleidern feuchte Flecken, und trat wieder vor die Regalwand. Während er weitere Akten durchblätterte, begann es in meiner Nase und im Schlund zu jucken. Es war ein Gefühl, als habe der feuchte Pelz auf den Mauern Eingang gefunden in meinen Körper. Zumindest war Mylling gründlich. Er zog zwei weitere Aktenstapel hervor, legte sie auf den Boden und durchblätterte sie mit geübten Fingern. Ich bemerkte einen riesigen, glänzenden Pilz, der neben ihm aus einer Fuge zwischen den Pflastersteinen wucherte. Schließlich stand Mylling auf und schüttelte den Kopf. »Da ist nichts, Sir. Niemand namens Fettiplace. Weder im Jahr davor noch im Jahr danach. Wenn die Urkunde hier wäre, würde ich sie finden.«
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Was hatte Ellen im Bedlam zu suchen, wenn sie nicht einmal entmündigt war? Mylling dehnte die knarzenden Kniegelenke. Ein lautes Donnern ließ uns beide zusammenfahren. Dabei befanden wir uns tief unter der Erde.
    »Hört Euch das an«, sagte Mylling. »Was für ein Lärm. Als wollte Gott persönlich uns mit seinem Zorn zermalmen.«
    »Grund genug hätte er derzeit«, stieß ich mit jäher Bitterkeit hervor.
    Mylling hielt die Laterne in die Höhe und sah mich an. »Was derzeit geschieht, Sir, ist der Wunsch des Königs. Er ist unser höchster Herr und zudem Oberhaupt der heiligen Kirche. Was er befiehlt, das muss genügen, um unser aller Gewissen zu beruhigen.« Vielleicht glaubt er ja, was er da sagt, dachte ich, dann ist er hier am rechten Ort.
    »Es tut mir leid, dass ich die Schwachsinnige nicht finden konnte«, sagte Mylling.
    »Nun ja, manchmal kann die Gewissheit, dass etwas nicht aktenkundig ist, durchaus von Nutzen sein.«
    Mylling sah mich an, einen Funken Neugier in den Augen. »Ich hoffe, Ihr findet Eure Zeugen für den Curteys-Fall, Sir«, sagte er ruhig. »Was ist Michael Calfhill zugestoßen? Vermutlich nichts Gutes. Master Sewster wollte nichts sagen.«
    Ich sah ihn an. »Er hat sich das Leben genommen.«
    Mylling sah mich mit seinen scharfen, dunklen Augen an. »Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Er wirkte so erleichtert, nachdem er Anklage erhoben hatte.« Er schüttelte das graue Haupt und führte mich wieder die Stufen hinauf. In den Gängen hörte ich erneut das Klimpern von Gold.

kapitel sechs
    A ls ich auf die Gasse hinaustrat, blendete mich das unerwartet grelle Licht. Die Pflastersteine waren übersät mit Hagelkörnern, die unter einem Himmel glitzerten, der nun wieder leuchtend blau war. Die Luft war angenehm frisch, mit einem Mal kühl. Ich ging behutsam meiner Wege, knackende Glätte unter den Sohlen. Auf dem Palasthof hatten die Menschen unter Toreingängen Schutz gesucht vor dem Gewitter. Nun tauchten sie wieder auf.
    Ich beschloss, Barak auf dem Heimweg einen Besuch abzustatten. Vielleicht war er ja schon zu Hause. Am Charing Cross waren die Hagelkörner bereits geschmolzen, der Boden nur noch ein wenig feucht. Während ich an den vornehmen neuen Häusern vorüberging, die die breite Straße säumten, den Strand, wanderten meine Gedanken zu Ellen. Wie konnte man sie ins Bedlam abschieben, ohne sie zuvor amtlich für unzurechnungsfähig erklärt zu haben? Jemand hatte sich gut bezahlen lassen, um sie aufzunehmen, und dieser Jemand hielt nach wie vor die Hand auf. Sie hätte schon morgen dem Tollhaus Lebewohl sagen können; doch hierin lag der Haken, denn genau das würde sie keinesfalls tun.
    Ich bog in die Butcher Lane, eine kurze Gasse mit zweistöckigen Häusern. Barak und Tamasin hatten sich das Erdgeschoss eines schmucken Häuschens gemietet, das in den hübschen Farben gelb und grün gestrichen war. Auf mein Klopfen hin öffnete mir die Gevatterin Marris, ein stämmiges Frauenzimmer in den Vierzigern, welches stets Frohsinn und Tatkraft versprühte. Heute aber zog sie ein grämliches Gesicht.
    »Was ist mit Mistress Tamasin? Ist sie wohlauf?«, fragte ich bang.
    »Ihr geht es gut«, antwortete Jane mit herbem Unterton. »Es ist der Herr, der uns Sorgen macht.«
    Sie führte mich in die saubere kleine Stube mit dem Blick in ein Gärtchen, in dem die Blumen leuchteten. Tamasin saß auf einem Haufen Kissen, die Hände auf

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