Der Pfeil der Rache
Leidlich.« Ich sah Leacon forschend an, da ich mich fragte, ob ihn seine Bekenntnisse reuten. »Ein paar Männer zankten sich, ob der Essnapf ihnen gehöre oder dem König«, stellte ich fest, um etwas zu sagen.
»Ja, einzelne haben ihr eigenes Geschirr mitgebracht, aber die meisten mussten von uns versorgt werden. Ein hölzerner Napf kann in einer armen Familie ein wertvolles Gut sein. Dasselbe gilt für die Bögen, nur jene mit guten Bögen, wie Llewellyn, durften die eigenen mitbringen. Die meisten entstammen den königlichen Zeughäusern. Die Ärmeren besaßen keine Ausrüstung, die sie hätten mitbringen können, dafür wird ihnen der Sold gekürzt. Schon seltsam, nicht?« Er lächelte freudlos.
Dyrick gesellte sich zu uns, nickte Leacon zu, ehe er mich ansprach: »Master Shardlake, ich würde Euch gern unter vier Augen sprechen, wenn ich darf.«
Wir ließen uns am Wegesrand nieder. Wir anderen hatten schon Farbe bekommen, aber Dyricks Gesicht war noch immer rot, und oberhalb der kupferfarbenen Bartstoppeln schälte sich ihm die sonnenverbrannte Haut von den Wangen. Er sagte: »Master Hobbey hat einen Teil der Klosterländereien in einen Jagdgarten verwandelt, der zwar klein ist, aber gut mit Wild bestückt.« Er maß mich mit hartem Blick. »Er möchte heute in acht Tagen seine erste Jagdpartie veranstalten. Viele Adelige vor Ort werden zugegen sein. Es wird ein wichtiges Ereignis für meinen Mandanten.«
»Ich hoffe, bis dahin sind wir wieder abgereist.«
»Falls wir aber wider Erwarten noch hier sein sollten, werdet ihr hoffentlich keinem der Jagdgäste den Zweck Eures Aufenthaltes in Hoyland verraten.«
»Wie schon gesagt, Bruder Dyrick, ich will mich bemühen, Master Hobbey keinen Verdruss zu machen. Aber was ich sage oder tue, ist meine Sache.«
»Ich werde Euch im Auge behalten, Bruder Shardlake.« Dyricks Miene war eindringlich, seine grünbraunen Augen in die meinen gebohrt. »Mein Mandant hat es weit gebracht, vom Wollhändler zum Gutsherrn. Vielleicht wird er eines Tages sogar in den Adelsstand erhoben. Ich will nicht, dass irgendetwas seine Aussichten schmälert.«
»Und ich möchte einfach nur sicherstellen, dass Hugh Curteys kein Unrecht widerfährt. Warum könnt Ihr das nicht begreifen?«
»Ihr werdet bald einsehen, dass es ihm an nichts fehlt.«
»Dann ist ja alles gut, Bruder.«
Kurze Zeit schwiegen wir beide, dann fragte Dyrick: »Habt Ihr jemals an einer Jagd teilgenommen?«
»Ein einziges Mal, in meiner Jugend. Wenn es auch nicht meinem Geschmack entsprach, die Tiere in den Tod zu hetzen. Für sie gibt es kein Entrinnen.«
Dyrick lachte höhnisch. »Aus Euch spricht der Anwalt der Bedürftigen. Sogar das Wild findet Euer Mitleid. Nun, es wird meine erste Jagd sein, wenn wir so lange bleiben sollten, was ich nicht hoffe. Ich bin selbst der Sohn eines armen Gerichtsschreibers und musste mich die Lebensleiter hinaufkämpfen. Von der kirchlichen Schule zu einem Stipendium an der Rechtsschule und von dort als unbedeutender Anwalt an den Hof des Königs –«
»Ihr wart bei Hofe? Vielleicht haben wir ja gemeinsame Bekannte. Robert Warner zum Beispiel?«
»Der Ratgeber der Königin? Nein, ich hatte nur eine zeitraubende Tätigkeit als Schreiber. Ich verließ den Hof, um mich in der Kunst der Prozessführung zu üben. Master Hobbey kommt ebenfalls aus ärmlichen Verhältnissen. Euer Vater soll ja ein vermögender Bauer gewesen sein, Bruder Shardlake.« In seiner Stimme schwang Verachtung.
»Vermögend wohl kaum, aber frei. Der Großvater meines Großvaters war angeblich noch ein Leibeigener. Der Ursprung der meisten Menschen, wenn man es genau betrachtet.«
»Ich bewundere Männer, die gleichsam aus dem Nichts kommen und hoch hinauswollen.«
Ich lächelte. »Ihr seid einer der ›neuen Männer‹, Bruder Dyrick.«
»Und ich bin stolz darauf. Wir Engländer sind keine Knechte wie die Franzosen.« Wir blickten zu den Soldaten hinüber. Eine kleine Gruppe um Sulyard tuschelte miteinander und lachte immer wieder ungut auf. Vermutlich trieben sie wieder ihren Spott mit jemandem. Barak unterhielt sich mit Carswell und dem Waliser. Dyrick stand auf und klopfte sich das Gras von den Beinkleidern. »Noch etwas«, setzte er hinzu. »Barak und Feaveryear haben dem Herrenhaus fernzubleiben. Master Hobbey duldet keine Vertraulichkeiten mit den Dienstboten.« Sprach’s und ging davon. Ich blickte ihm nach und überlegte, dass Emporkömmlingen wie ihm oftmals der ärgste Dünkel anhaftete.
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