Der Pilot von der Donau
finster.
Einzig und allein sein Ziel im Auge, handelte Serge Ladko jetzt in der Weise einer Somnambüle. Seine schnellen und bestimmten Bewegungen führten aus, was er tun mußte, was ihm unmöglich gewesen wäre, nicht zu tun. Blind für alles, was ihn umgab, hatte er nicht einmal gesehen, daß sein Gefährte in der Kabine verschwunden war, als er den kleinen Anker herausholte. Für ihn war die ganze äußre Welt so gut wie verschwunden, für ihn gab es nur noch einen Traum. Und dieser, trotz der Nacht sonnenhell vorliegende Traum, das war sein bescheidnes Haus und darin Natscha! Außer Natscha gab es für ihn unter dem Himmelsdome nichts weiter.
Sobald der Bug des Bootes ans Ufer stieß, sprang er ans Land, legte das Boot fest und entfernte sich schnellen Schrittes.
Sofort kam auch Karl Dragoch unter dem Schutzdache hervor. Er hatte seine Zeit nicht vergeudet. Wer hätte den Polizisten mit dem energischen, bewußten Wesen wohl wiedererkannt in diesem schwerfälligen Tölpel, der getreuen Kopie eines ungarischen Bauern?
Der Detektiv stieg ebenfalls ans Land, und der Spur des Piloten nachgehend, begann jetzt noch einmal eine Jagd.
Sechzehntes Kapitel.
Das leere Haus.
In fünf Minuten hatten Serge Ladko und Karl Dragoch die Häuser erreicht.
Rustschuk hatte trotz seines umfänglichen Handels und starken Verkehrs noch keine öffentliche Beleuchtung, und es wäre den beiden, wenn sie es geplant hätten, schwer geworden, sich von der unregelmäßig um einen sehr großen Landungs-und Ladeplatz gruppierten Stadt, mit den vielen schmutzigen, als Schankstätten oder Niederlagen benützten Lokalen an diesem Platze, eine Vorstellung zu machen… Daran dachten die beiden Nachtwandler auch nicht. Der erste ging mit vor sich hinstarrenden Augen schnell dahin, als würde er von einem in der Finsternis aufglänzenden Ziele angezogen. Der zweite widmete dem Piloten eine so ungeteilte Aufmerksamkeit, daß er gar nicht zwei Männer bemerkte, die gerade aus einer Seitengasse herauskamen, als er diese kreuzte.
Auf dem am Strom hinführenden Wege angekommen, trennten sich die beiden, von denen der eine nach rechts, stromabwärts hin weiterging.
»Gute Nacht, sagte er bulgarisch.
– Gute Nacht«, antwortete der andre, der, sich links wendend, in Karl Dragochs Fußtapfen trat.
Beim Klange dieser Stimme erzitterte der Polizist ein wenig. Eine Sekunde zauderte er, hielt unwillkürlich den Atem an, gab aber dann seine Verfolgung auf und blieb, sich umwendend, plötzlich stehen.
Er sah weder das Eiserne Tor… (S. 220.)
Ein Polizist, der das Streben hat, nicht auf den untern Stufen der Amtsleiter stehen zu bleiben, braucht eine ganze Menge natürlicher oder angelernter besondrer Eigenschaften. Die allerwertvollste darunter ist ein untrügliches Erinnerungsvermögen des Auges und des Ohres.
Dessen konnte sich Karl Dragoch im höchsten Maße rühmen. Seine Seh-und Hörnerven bildeten richtige Registrierapparate, und ihre Licht-oder Toneindrücke vergaß er nie, wie viel Zeit auch darüber vergehen mochte.
Nach Monaten, nach Jahren erkannte er ein nur flüchtig gesehenes Gesicht wieder, und ebenso die Stimme, die einmal sein Trommelfell hatte erzittern lassen.
Das war gerade der Fall mit den Lauten, die er eben vernommen hatte, und augenblicklich bedurfte es keiner langen Zeit, bis er deren Besitzer gegenüberstand, um sich gegen jeden möglichen Irrtum zu sichern. Diese Stimme, die in der Waldblöße am Fuße des Pilis sein Ohr getroffen hatte, wurde für ihn jetzt zum lange vergeblich gesuchten Leitfaden. So scharfsinnig seine Vermutung bezüglich seines Reisegenossen auch sein mochte, waren es im Grunde doch nur Hypothesen. Die Stimme dagegen gab ihm Gewißheit. Zwischen dem Wahrscheinlichen und Gewissen konnte kein langer Zweifel bestehen, und so gab denn der Detektiv seine erste Verfolgung auf und ging einer andern Spur nach.
»Guten Abend, Titscha«, sagte er deutsch, als der Mann in seine Nähe gekommen war.
Der blieb stehen und bemühte sich, in der dunkeln Nacht etwas zu erkennen.
»Wer grüßt mich da? fragte er.
– Ich, antwortete Dragoch.
– Wer ist der Ich?
– Max Raynold.
– Kenne ich nicht.
– Doch ich kenne euch, sonst hätt’ ich euch doch nicht beim Namen rufen können.
– Das ist ja richtig, mußte Titscha einräumen. Da müßt ihr aber auch verdammt gute Augen haben.
– Ja, die sind vortrefflich.«
Das Gespräch wurde einen Augenblick unterbrochen.
»Was wollt ihr denn von mir?
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