Der Piratenfuerst
gesorgt.«
Bolitho trat langsam an die Netze, beugte sich weit über Bord und schaute in das erste Boot, die Gig, die eben festmachte. Ein Mann, der gekrümmt an Alldays Beinen lehnte und von zwei Matrosen festgehalten wurde, schrie wie eine gemarterte Frau. Ein Hai hatte ihm ein Loch in die Schulter gerissen, so groß wie eine Kanonenkugel. Bolitho wurde es übel, er wandte sich ab.
»Um Gottes willen, Thomas, schicken Sie mehr Leute zum Helfen!«
»Schon geschehen, Sir.«
Bolitho blickte auf den flatternden Wimpel an der Gaffel.
»Himmel, wenn so etwas mitten im Frieden passieren kann, dann wäre mir schon lieber, wir hätten Krieg!«
Er beobachtete einige Rudergasten, die an Bord kletterten, die Hände voller Blasen, Rücken und Gesichter knallrot vom Sonnenbrand. Fast wortlos gingen sie unter Deck.
Vielleicht hatte sie das, was sie da beim Riff gesehen hatten, mehr gelehrt als alles Exerzieren; die Erinnerung daran würde eine Warnung für sie alle sein.
Wieder schritt Bolitho auf und ab. Und für mich auch, dachte er.
Bolitho trat in seine Kajüte und blieb unter dem Skylight stehen. Die Sonne ging eben unter, und die offenen Heckfenster glühten im ersterbenden Glanz wie poliertes Kupfer. Im Rhythmus der stetigen Schiffsbewegungen und der schaukelnden Deckenlampe schwankten die Schatten in der Kajüte; er sah die kleine Gruppe an den Fenstern und konnte kaum glauben, was er sah.
Don Luis Puigserver saß unbeholfen auf der Polsterbank, einen Arm in der Schlinge, die Brust dick bandagiert. Als man ihn vor Stunden mit anderen Überlebenden an Bord gehievt hatte, war er zuerst nicht erkannt worden, bis ein Leutnant, der einzige Gerettete der spanischen Offiziere, Atem genug hatte, um ihn zu identifizieren. Und dann hatte Bolitho gedacht, es sei zu spät. Der untersetzte Spanier war bewußtlos und über und über mit Abschürfungen, Wunden und Beulen bedeckt. Er sah furchtbar aus; und wenn Bolitho an die letzten Minuten der Nervion dachte, schien es kaum glaublich, daß er noch am Leben war. Von den etwa vierzig Mann, die an Bord der Undine Zuflucht gefunden hatten, waren zehn bereits gestorben, und mehrere schwebten in Lebensgefahr. Die ursprünglich zweihundertsiebzig Mann starke Besatzung war auf die Katastrophe, die sie auf dem Riff erwartete, gänzlich unvorbereitet gewesen: sie wurde von fallenden Spieren zerschmettert, von der einströmenden See halb ertränkt; und dann, als das Schiff gekentert und völlig in Trümme r geschlagen war, tauchten im wirbelnden Wasser die dunklen Schatten der Haie auf und fielen über die Schiffbrüchigen her. Mit Entsetzen hatten die Männer zusehen müssen, wie ihre Gefährten in blutige Fetzen zerrissen wurden – noch vor ein paar Minuten hatten sie mehr Segel gesetzt und die Geschütze bemannt, um die freche Brigantine zu stellen.
Als die Boote der Undine kamen, war fast alles vorbei. Ein paar Männer schwammen verzweifelt zu ihrem gekenterten Schiff zurück, aber als die Fregatte vom Riff glitt und sank, gerieten sie in den Sog und wurden mit hinabgezogen. Andere hatten sich an treibende Spieren und gekenterte Boote geklammert, wurden aber einer nach dem anderen von den silbergrauen Haien angefallen und unter Entsetzensschreien in das brodelnde, blutigrote Wasser gezogen.
Und nun saß Puigserver in Bolithos Kapitänskajüte und nippte beinahe gelassen an einem Becher Wein. Er war nackt bis zum Gürtel, so daß Bolitho einige von den blutunterlaufenen Prellungen sah, lauter Zeugnisse seines unbeugsamen Willens zum Überleben. »Ich bin dem Schicksal dankbar, daß Sie sich wieder erholt haben, Senor«, sagte Bolitho. Der Spanier setzte zu einem Lächeln an, aber das bereitete ihm offenbar Schmerzen. Er winkte den Arzt und einen Sanitätsgasten heran und fragte: »Wie viele von meinen Leuten leben noch?«
Bolitho starrte über seinen Kopf hinweg auf die Kimmung: ein kupferfarbener Streifen, der vor seinen Augen bereits verblaßte.
Der Arzt hob die Schultern. »Dreißig. Viele waren sehr schwer verletzt.«
Puigserver trank einen Schluck. »Es war furchtbar anzusehen.« Seine dunklen Augen wurden hart. »Capitan Triarte war so wütend über den Beschuß, daß er wie ein Besessener hinter der Brigantine hersegelte. Er war zu heißblütig. Anders als Sie.«
Bolitho lächelte nachdenklich. »Anders als Sie.« Aber wenn er keinen Segelmeister wie Mudge gehabt hätte? Keinen befahrenen Mann, der dank seiner reichen Erfahrung die Drohung dieses Riffes in den Knochen
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