Der Piratenlord
und davon gehen würde, sobald er eine Fluchtmöglichkeit von der Insel gefunden hätte, würde Sara die gleichen Gewissensbisse verspüren. Ann hatte von ihrem Leben noch nicht viel gehabt, und nun wurde ihr die einzige Hoffnung, an die sie sich geklammert hatte, auch noch zerstört. Und ausgerechnet von Sara, deren einziger Wunsch es gewesen war, die Frauen glücklich zu machen.
Sie erhob sich und fragte Louisa: „Wussten Sie, dass sie Petey mochte?“
Louisa nickte. „Aber machen Sie sich keine Gedanken. Ich verstehe völlig, warum Sie und Petey sich zusammenschließen, auch wenn Ann das nicht erkennt. Sie beide sind die Einzigen in dieser unseligen Gesellschaft, die noch nie das
Gesetz gebrochen haben. Ich kann ihm wirklich nicht vorwerfen, dass er keine Gefangene heiraten möchte, und natürlich kann ich Ihnen auch nicht verdenken, dass Sie keinen Piraten zum Mann haben wollen.“ Sie zuckte die Schultern. „Normalerweise bleiben die Menschen unter ihresgleichen. Das ist etwas, was ich . . . vor langer Zeit bitter erfahren musste.“
Louisas Geständnis machte Sara betroffen. Louisa hatte wenig über ihre Vergangenheit gesprochen, doch Sara hatte einige Mutmaßungen angestellt. Der Mann, den sie erstochen hatte, war der älteste Sohn eines Barons gewesen. Es war sicherlich leicht gewesen, sich in einen solchen Mann zu verlieben, doch als Gouvernante hatte Louisa nie darauf hoffen können, den Erben eines Adelstitels zu heiraten. Doch was hatte der Mann bloß getan, dass sie ihn vor Wut niedergestochen hatte? Eine einfache Weigerung, sie zu heiraten, schien Sara eine zu geringe Provokation für eine Frau von Louisas Herkunft und Klugheit zu sein. Da musste viel, viel mehr dahinter stecken.
Doch da Louisa nicht zu denen gehörte, die über ihre schlimmen Taten sprachen, würde Sara kaum die Wahrheit herausfinden können. Das war zu schade, weil sie Louisa gern geholfen hätte.
„Ich kann keine Bäume sehen“, sagte Louisa, weil sie ganz offensichtlich von sich ablenken wollte.
Noch immer schuldbewusst schaute Sara wieder zum Horizont hinüber. Jetzt hatte sich der Fleck zu einem formlosen Klecks vergrößert. „Soll das etwa das Paradies sein, von dem Gideon gesprochen hat?“ dachte sie laut.
Louisa sah sie neugierig an. „Gideon? Nennen Sie unseren Captain schon beim Vornamen?“
Saras Wangen brannten. „Nein, natürlich nicht. Ich . . . ich wollte Captain Horn sagen.“ Da war noch etwas, dessen sie sich schuldig fühlte - ihr gestriges verheerendes Erlebnis. Seither war er ihr aus gutem Grund aus dem Weg gegangen. Sie hätte ihm niemals solche Freiheiten gestatten dürfen. Das gab ihm eine völlig falsche Vorstellung von ihr.
„Ich an Ihrer Stelle würde mich von Captain Horn möglichst fern halten“, bemerkte Louisa mit leiser Stimme und betont ausdrucksloser Miene.
„Ich mag ihn nicht sonderlich.“
Louisa zog ein wenig zweifelnd die Augenbrauen hoch.
„Gut. Dann macht es Ihnen ja auch nichts aus, dass er Barnaby gestern Nacht in den Frachtraum geschickt hat, um ihm Queenie ins Bett zu holen.“
Sara sah Louisa schockiert an. „ Was hat er getan?“
„Sie haben doch gesagt, dass Sie ihm nicht nahe stehen.“ Sara blickte wieder zum Horizont und bemühte sich darum, unbekümmert zu wirken. „Das ist auch so. Ich bin nur entsetzt darüber, dass er so etwas tut, nachdem er den Männern befohlen hat, sich wie Gentlemen zu betragen, bis die Ehegelübde ablegt worden sind.“ Und nachdem er gestern versucht hat, mich zu verführen.
Wilde Eifersucht erfasste Sara, obwohl sie alles versuchte, sie zu unterdrücken. Ein bitterer Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, als sie zu Gideon schaute, der am Steuerrad stand und seinen Matrosen Befehle zurief. In seiner Lederweste und der hautengen Hose sah er wie ein Mann aus, der alles, was Röcke trug, verführte. Sie hatte recht daran getan, ihm nicht zu trauen. All seine zärtlichen Worte waren ohne jede Bedeutung. Er hatte sich nur mit ihr vergnügen wollen.
Nicht auszudenken, wenn sie sich ihm tatsächlich hingegeben hätte! Das wäre der schrecklichste Fehler gewesen, den sie hätte machen können!
Schulterzuckend sagte Louisa: „Er ist der Captain. Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass er die gleichen Regeln befolgt, die er für seine Männer aufgestellt hat.“
„Genau das hatte ich erwartet. Er spricht davon, dass er eine Kolonie gründen und sie zu einem Paradies machen wolle, doch in Wahrheit möchte er einen Harem für
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