Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
sehen, wie lange du noch lügst.«
Tonho brachte die Tüte. Sie enthielt ein Hemd, ein Mittel gegen Schlangenbisse, etwas Mehl, Salz und einen Revolver Kaliber 38, für Marra ein eindeutiger Hinweis auf Genoinos Aktivität in der Rebellenbewegung.
Sie machten sich auf den Weg. Diesmal nahmen die fünf Männer José Genoino in ihre Mitte, dessen Hände nun hinter seinem Rücken zusammengebunden waren. Júlio hatte von der Hütte erzählt, die er am Abend zuvor entdeckt hatte, und der Offizier wollte, dass er sie dorthin führe. Eine halbe Stunde später kamen sie an. In der Hütte fanden sie einen Eisentopf, zwei Hacken, eine Holzbank, Essensreste und Spuren von Schießpulver. Marra war überzeugt, dass die Hütte ein Stützpunkt der Kommunisten war.
»Kennst du diesen Ort, Geraldo?«, fragte er.
»Nein, hier war ich noch nie«, sagte der.
»Es ist ein Kommunistenversteck, nicht wahr?«
»Ich habe doch gesagt, ich weiß es nicht, Delegado.«
Carlos Marra glaubte ihm nicht. Und als der Hund aus der Hütte schwanzwedelnd auf Genoino zulief und dessen Füße leckte, war endgültig klar, dass der junge Guerillero log. Der Köter mit seinem zerzausten, rötlichen Fell und den Schlappohren verriet José Genoino. Marra beschloss, egal mit welchen Mitteln, die Wahrheit aus ihm herauszupressen.
Damit begann eine Zeit im Leben des José Genoino, die so grauenerregend war, dass sein Denken, sein Fühlen und sein Körper für immer von ihr gezeichnet werden sollten.
Marra fragte ihn nach den Verstecken der übrigen Rebellen. Außerdem wollte er wissen, wie viele von ihnen am Araguaia aktiv waren, welche Waffen sie hatten und wie sie miteinander kommunizierten. Auf alle Fragen gab Genoino die gleiche Antwort: »Ich weiß es nicht.« Um ihn zum Reden zu bringen, wurde er geprügelt, am ganzen Körper mit Tritten und Schlägen traktiert. Er hatte heftige Schmerzen im Bauch und den bitteren Geschmack von Blut im Mund. Seine Hände waren noch immer hinter dem Rücken zusammengebunden, um sich vor den Hieben zu schützen, krümmte er sich und zog seine Knie vor die Brust.
Marra selbst fasste den Kommunisten nicht an. Er stand nur daneben und gab Befehle. Auch Júlio hielt sich abseits, er hatte Marra gesagt, dass er den Gefangenen nicht schlagen wollte. Er saß auf der Erde, umklammerte seine Flinte und sah zu. Bei jedem Schlag verzog er das Gesicht. Er konnte nicht verstehen, wie die Männer, mit denen er die letzten sieben Tage verbracht hatte, auch nur das geringste Vergnügen dabei empfanden. Es war früher Nachmittag, als sie endlich aufhörten. Genoino lag völlig verdreckt auf der mit Blättern bedeckten Erde. Marra befahl Tonho, Essen zu machen. Es gab den übrig gebliebenen Reis mit Maniokmehl und drei Dosen Sardinen, sie saßen auf der Erde und aßen mit ihren Händen direkt aus dem Topf. José Genoino lag still, wie bewusstlos, und versuchte sich von den Tritten und Schlägen zu erholen, die heftige Spuren auf seinem Rücken, seinen Beinen und seinem Bauch hinterlassen hatten.
Carlos Marra war nervös: Wo blieb der Helikopter, den er für den Rückweg nach Xambioá angefordert hatte? Und wie kam er an die Informationen, die er von seinem Gefangenen haben wollte? Er konnte nichts weiter tun als warten. Vielleicht würde ihn eine weitere Runde Folter ans Ziel bringen. Bevor der Abend anbrach, befahl der Offizier seinen Männern, den Gefangenen wieder in die Mangel zu nehmen. Júlio drehte sich weg, sodass er nur Genoinos Gewimmer hören musste. Marra schien sich in seiner Grausamkeit noch steigern zu wollen. Auf seinen Befehl hin stellte Ricardo zwei leere Sardinendosen, die sie mit dem Messer geöffnet hatten, mit der offenen Seite nach oben hin, und zwangen den Kommunisten, sich barfuß darauf zu stellen. Genoino spürte, wie sich die scharfen Ränder in seine Fußsohlen schnitten, und seine Augen weiteten sich vor Schmerz. Forel zog ihn an den Haaren.
»Und jetzt, Geraldo? Wirst du endlich reden?«, fragte Marra.
»Ich habe schon gesagt, dass ich nichts weiß, Delegado«, presste Genoino hervor.
»Wie du willst. Meinetwegen können wir weitermachen, bis du verreckst. Wenn ich du wäre, hätte ich schon längst geredet.«
»Aber ich habe nichts zu sagen«, keuchte Genoino.
Die Zeit verging, ohne dass der Gefangene auch nur eine einzige Information preisgegeben hätte.
Kurz bevor es dunkel wurde, erhielt Júlio den Befehl, Essen zu besorgen. Der Junge hatte Hunger und dachte, dass ihn die Jagd ablenken
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