Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
dem Alten verraten, dass er gar nicht zu den Revolutionären gehörte.
»Sie haben recht. Entschuldigen Sie bitte, dass ich gelogen habe. Können Sie mir sagen, wohin mein Freund gegangen ist?«, sagte der Junge.
»Leider nein. Weil niemand deinem Freund sagen konnte, wo die Caianos-Leute sind, hat er sich aus dem Staub gemacht.«
»In welche Richtung ist er denn gegangen, haben Sie das gesehen?«
»In die, aus der du gekommen bist. Wenn der Wald nicht so groß wäre, hättet ihr euch wahrscheinlich getroffen«, sagte der Alte.
»Danke, Sie haben mir sehr geholfen. Nur noch eine Frage: Hätten Sie vielleicht ein Glas Wasser für mich?«
Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, machte sich Júlio wieder auf den Weg. Er rannte noch schneller als zuvor, denn er befürchtete, der Kommunist könnte zum Rastplatz seiner Freunde gelangen und sie überraschen, oder sie fassten ihn, ohne dass Júlio dabei wäre. Obwohl das Licht der Nacht dürftig war, fand er mühelos zurück, denn er kannte jetzt jeden Meter der Strecke. Ohne auch nur einmal anzuhalten, erreichte er Marra und die Männer. Der Kommunist war ihm nicht begegnet, trotzdem war er zufrieden und stolz, denn er brachte Informationen mit, die Marra seiner Überzeugung nach sehr nützlich sein würden. Strahlend stand er vor der Truppe, erzählte mit weit ausholenden Armbewegungen von seiner Jagd und lobte sich selbst für seine Fähigkeiten als Waldläufer, der wie ein Jaguar durch den Urwald gerannt sei. Der Satz:
»Ich glaube, der Mistkerl ist auf dem Weg dahin, wo er hergekommen ist. Und er wird hier in der Nähe vorbeilaufen«, versetzte die Truppe in helle Aufregung.
»Was, wenn er schon längst vorbeigekommen ist? Wenn er, wie du, gerannt ist?«, fragte Emanuel.
»Er weiß ja nicht, dass er verfolgt wird. Und selbst wenn er es wüsste, glaube ich kaum, dass er schneller ist als ich.«
»Also, ich weiß nicht«, erwiderte Emanuel.
»Der Mensch ist wie ein Tier. Er rennt nur, wenn er sich verfolgt oder bedroht fühlt. Der Kerl ist völlig arglos. Wahrscheinlich hat er gerade sein Nachtlager aufgeschlagen und marschiert morgen weiter.« Júlio sprach mit einer Sicherheit, die ihn selbst überraschte.
»Ich glaube, der Junge hat recht«, beschied Marra. »Wir essen und schlafen jetzt. Morgen werden wir sehr früh aufstehen.«
Schon kurz vor fünf, am Morgen des 18. April 1972, waren Carlos Marra und seine Truppe auf den Beinen. Tonho hatte Feuer für den Kaffee gemacht. Sie aßen Dörrfleisch und Reis mit Maniokmehl, nahmen die Hängematten ab, warfen ihre Sachen in den Jutesack und machten sich wieder auf Rebellenjagd. Wie Emanuel vorgeschlagen hatte, durchstreiften die Männer den Wald im Abstand von fünf Metern nebeneinander, sodass sie eine größere Fläche kontrollieren konnten, als wenn sie hintereinander liefen. Ricardo lief am äußersten linken Rand und führte das Pferd an einem Strick. Júlio war in der Mitte, der Offizier rechts von ihm.
Die Erde war noch feucht vom Regen, ein Geruch, den Júlio liebte. Er fühlte sich wie zu Hause. Seine Augen sondierten jeden Meter des Waldes, und plötzlich hörte er etwas weiter voraus ein Geräusch. Er hob den linken Arm, damit sie stehen blieben, und wies in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Dann signalisierte er, dass sie sich ducken sollten. Langsam und vorsichtig kroch er vorneweg, und als er sich umdrehte, winkte er Marra mit der rechten Hand zu sich. Er deutete auf einen dreißig Meter hohen Mahagonibaum, doch Marra konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Noch einmal deutete Júlio in die Richtung: ein Tapir, und zwar ein recht großes.
»Was soll ich denn mit einem Tapir, Julão?«, fragte Marra vorwurfsvoll.
»Nur damit Sie wissen, dass mir nichts entgeht. Wenn es der Kommunist gewesen wäre, hätte ich ihn auch entdeckt«, erklärte der Junge.
»Na gut. Aber vergiss die Tiere, wir wollen den Kerl fangen.«
Kaum eine halbe Stunde später, gegen sechs Uhr, gab Júlio wieder ein Zeichen. Sie blieben stehen. »Da vorne ist jemand«, flüsterte er dem Offizier zu, hinkend kam Marra heran. Der Mann bewegte sich etwa hundert Meter vor ihnen auf einem Pfad, er trug dunkle Hosen und ein hellblaues Hemd, dessen Ärmel bis kurz unter die Ellenbogen hochgekrempelt waren. Er war schlank, etwa einen Meter achtzig groß und hatte kurzes, struppiges Haar, in seiner rechten Hand trug er eine Plastiktüte. Er ging sehr langsam. Marra flüsterte: »Er hat nicht die geringste Ahnung, dass
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