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Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Titel: Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klester Cavalcanti
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Júlio.
    »Wir warten erst einmal, ob das Militär kommt. Wenn die Soldaten bis Mittag nicht da sind, in Ordnung«, sagte Marra.
    Als Marras Uhr – die einzige – zwölf Uhr mittags anzeigte, wurde Júlio beauftragt, fischen zu gehen und erst wiederzukommen, wenn er mindestens zwei Kilo Fisch gefangen hätte. Mit einem großen Buschmesser schnitzte er aus einem Ast eine Art Harpune zurecht. Gerade war er dabei, die Spitze zu schnitzen, als er über den Baumkronen einen ohrenbetäubenden Lärm vernahm. Er sah nach oben, er konnte zwar nichts erkennen, sich aber umso besser vorstellen, was das Dröhnen zu bedeuten hatte.
    Bei der Landung wirbelte der Helikopter Blätter und eine riesige Staubwolke auf. Marra sprang mit einem Satz von der Holzbank und ging humpelnd auf die Soldaten zu. Júlio war unruhig. Am liebsten hätte er den Offizier gebeten, mit dem Boot nach Xambioá zurückkehren zu dürfen, aber es war ihm klar, dass er Marras Anordnung würde folgen müssen. Genoino indessen wusste nicht, ob die Ankunft des Militärs für ihn Gutes oder noch Schlimmeres bedeutete. Wenn ihn die Soldaten in die Stadt mitnahmen, würden sie ihn vielleicht freilassen. Sie konnten aber genauso gut längst herausgefunden haben, dass er Mitglied der verfolgten PCdoB war, dann würden sie ihm sein Leben noch mehr zur Hölle machen.
    Marra stand mit fünf Soldaten beim Helikopter, ohne dass Júlio hören konnte, was sie sprachen. Aus ihren ernsten Gesichtern schloss er, dass sie wütend waren. Ein Soldat holte eine große Tonne aus dem Helikopter, und Marra schickte Ricardo mit ihm zum Fluss. Kurz darauf kamen sie wieder, die Tonne bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Dann gingen die Soldaten auf Genoino zu. »Wollen doch mal sehen, ob er nicht doch noch spricht«, sagte der Mann, der der Anführer zu sein schien, und fixierte Genoino.
    Sie banden ihn vom Baum los und fesselten seine Hände hinter dem Rücken. Zwei Männer packten ihn an den Armen und tauchten seinen Kopf in die Wassertonne.
    Es war das Schlimmste, was Genoino je erlebt hatte. Den Kopf unter Wasser, entfuhr ihm ein stummer Schrei. Er schluckte das brackige Flusswasser und versuchte sich aus der Tonne zu ziehen, doch zwei Hände hielten ihn unten. Plötzlich spürte er, wie sein Kopf brutal hochgezerrt wurde und er wieder atmen konnte. Er spie Wasser aus, holte Luft, seine Lungen schienen zu bersten. Ein Soldat griff ihn am Nacken und sagte: »Wo sind die anderen Kommunisten? Redest du jetzt oder willst du ertrinken?« Die Antwort war dieselbe wie all die Male zuvor: »Ich weiß nichts.« Und wieder wurde sein Kopf ins Wasser getaucht. Eine Hand riss ihn von einer Seite zur anderen, seine Stirn stieß dabei gegen die Aluminiumwand der Tonne.
    Er wusste nicht mehr, wie oft es sich wiederholte, aber irgendwann war er sich sicher, dass er sterben würde. Er versuchte verzweifelt, Luft zu bekommen. Krämpfe ließen Genoinos Körper erzittern. Júlio flehte zu Gott, den Kommunisten von seinem Leid zu erlösen. Seine Bitten schienen erhört zu werden, denn er sah, wie einer der Soldaten Genoinos Kopf aus der Tonne zog. Genoino fiel zu Boden, Wasser floss aus seinem Mund, er hustete unaufhörlich. Noch viele Jahre nach der Folter konnte Genoino weder in einem Fluss noch im Meer schwimmen.
    »Los, Abmarsch. In der Stadt setzen wir das Verhör fort«, rief der Anführer der Soldaten.
    Carlos Marra sah zu seinen Männern und zeigte wortlos auf den Helikopter. Vor dem Abflug legten die Soldaten José Genoino Handschellen und Fußketten an, schubsten ihn brutal auf die Erde und schossen ein Foto, das eines der berühmtesten Bilder des Guerillakriegs vom Araguaia wurde.
    Die Stimmung war so angespannt, dass Júlio Marra nicht fragte, ob er mit dem Boot nach Xamboiá zurückkehren durfte. Er flüsterte ein letztes Stoßgebet, stieg in den Helikopter und zwängte sich in eine Ecke. Zwei Soldaten, die Júlio als gleichaltrig einschätzte, zerrten Genoino herbei. Er sah zu, wie Ricardo den Militärs dabei half, die Hütte, und alles, was sich in ihr befand, abzubrennen, und wie der Hund auf der Flucht vor dem Feuer zum Fluss rannte. Als der Helikopter aufstieg, zog Júlio die Knie zur Brust, umklammerte seine Beine und schloss fest die Augen. Er wollte sie erst öffnen, wenn er wieder festen Boden unter den Füßen hätte.
    Bereits zehn Minuten später waren sie in Xambioá: Júlio staunte. So gefährlich es auch sein mochte, der Helikopter war tatsächlich schnell und praktisch. Als er

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