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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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die bunte Seide seines Schlafrockes und hinkte langsam zur Tür. Als er die Kabine verlassen hatte, blieb ein unfaßbares Grauen zurück.
Die Stadt
    Der „Kosmokrator“ beschrieb in einer Höhe von vierzig Kilometern große Kreise um die Venus. In der dünnen Atmosphäre bildete sich um die glühendheißen Auspuffgase kondensierter Dampf, der als riesiger Nebelring unbeweglich über den Wolken hing und als Regenbogen unter den Strahlen der tiefstehenden Sonne blinkte, wenn wir, ständig kreisend, auf unserer eigenen Spur zurückkehrten. Wir rasten bereits seit vielen Stunden um den Planeten, Ungefähr alle fünfundvierzig Minuten erschien die Sonne in den Leuchtschirmen, tauchte die Wände der Zentrale in blendendhelles Licht und verschwand wieder. Die Motoren sangen ihr leises, monotones Lied, und unter uns breitete sich die ungetrübte, schneeweiße Ebene der Wolken aus.
    Ich wechselte mich mit Soltyk am Steuer ab. In der dienstfreien Zeit begegnete ich einige Male Arsenjew. Er schritt mit finsterem Gesicht, die Hände auf dem Rücken, im Mittelgang der Rakete auf und ab. Einmal sprach ich ihn an; aber er antwortete nicht, sondern verschwand in der Kabine des Marax, über deren Tür wieder ununterbrochen das rote Schild leuchtete. Etwas später sah ich Rainer. Er brachte eine Filmkassette aus dem Laboratorium. Im Vorübergehen streifte er mich nur mit einem abwesenden Blick.
    Als ich nach einer Stunde wieder am Laboratorium vorüberkam, hörte ich Musik. Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat ein. Aus dem Lautsprecher ertönten die majestätischen Klänge der Fünften Sinfonie von Beethoven. Regungslos wie eine Statue stand Chandrasekar neben dem Apparat. Ich rührte mich nicht, bis die Musik verstummt war. Der Mathematiker verharrte in seiner Haltung, den Kopf leicht erhoben, als lauschte er in die Stille, die uns umgab.
    „Professor …“, sagte ich leise.
    Erst jetzt bemerkte er mich. „Bitte?“
    „Ich wollte … darf man fragen, an was Sie zur Zeit arbeiten?“
    „Er spielt mit uns wie die Katze mit der Maus“, murmelte Chandrasekar und ging an mir vorbei auf die Tür zu.
    „Wer denn, Arsenjew?“ fragte ich noch.
    „Aber nein! Der Marax!“
    Mehr erfuhr ich nicht von ihm. Ich begab mich zurück in die Zentrale. Es war dunkle Nacht geworden, die Lämpchen an den Meßinstrumenten flimmerten und warfen ein unbestimmtes, schwaches Leuchten gegen die Wände. Im Hintergrund blitzten grell die Kontrollinstrumente des Marax, als wachte nur er allein in der riesigen Rakete, die in tiefen Schlaf versunken war. Diese Ruhe war aber nur eine scheinbare. Als ich wieder in den Korridor trat, hörte ich, wie die Wissenschaftler erregt über irgend etwas diskutieren. Ich unterschied den Bariton Arsenjews. Lao Tsu antwortete ihm mit ruhiger, leidenschaftsloser Stimme. Bis zu meinem Dienst waren es noch zwei Stunden. Ich hatte jedoch keine Lust, meine Kabine aufzusuchen, und ging deshalb wieder in die Zentrale. Soltyk saß unter den Schalttafeln des Marax, von ihrem hellen Schein umflossen, und betrachtete aufmerksam einen großen Bogen Papier, der wie ein Stadtplan aussah.
    „Was ist denn das?“ fragte ich ihn.
    „Warschau“, entgegnete er, ohne den Kopf zu heben. Er fuhr mit dem Finger langsam über den Plan, irrte sich und kehrte wieder, wie bei der Wanderung, die er wohl in Gedanken durch die Straßen der Stadt machte, zum Ausgangspunkt zurück, um den verlorenen Weg zu suchen.
    „Ist das deine Heimatstadt? Ich war nie dort. Erzähle mir von Warschau. “ Er blickte mich zerstreut an, dann wandte er sich wieder seinem Plan zu.
    „Du warst noch nie in Warschau?“ fragte er mich in einem Ton, als wollte er sagen, du hast noch nie die Sonne gesehen? Ich setzte mich auf die Lehne des Sessels und schaute auf die verschiedenfarbigen Vielecke. Soltyk faltete behutsam den Bogen zusammen.
    „Wenn ich an die Erde denke“, sprach er, „dann denke ich an Warschau, dann …“ Er stockte. „Es gibt viel größere Städte …“
    Wieder zögerte er. „Und viel prächtigere, aber sie ist … sehr schön.“ Wir schwiegen beide. Für einen Augenblick tauchten über dem Grün von Bäumen weiße, hochragende Mauern vor mir auf.
    Plötzlich erscholl das laute Signal des Summers. Ich fuhr zusammen. Der Ingenieur deutete zu den Meßinstrumenten des Marax hinauf.
    „Siehst du? Er hat ja auch seit sechzehn Stunden nicht ein einziges Mal stillgestanden.“ Soltyk hob den Hörer ab. Arsenjew meldete sich und bat mich,

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