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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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beugten uns über den Tisch und betrachteten das geringfügige Ansteigen und Absinken der Kurve, auf das der Mathematiker zeigte, während er fortfuhr: „Schlimmer wäre es zur Zeit der negativen Phase gewesen: Ein jeder, der sich der Kugel genähert hätte, wäre, der Anziehungskraft des Planeten ledig, wie ein Ballon in die Höhe gestiegen und würde nun im interplanetaren Raum kreisen … Nun, darum handelt es sich ja augenblicklich nicht. Es dreht sich, nach den Worten unseres Kollegen Lao, vielmehr darum, wie diese Maschine arbeitet. Viel wichtiger aber ist für uns die Antwort auf die Frage, was dieser verwickelte Gravitationszyklus bedeuten soll, der zweihundertsechsundneunzig Stunden dauert und nach dessen Ablauf sich sämtliche Sprünge und Verzögerungen unverändert von Anfang an wiederholen. Was kann die Bestimmung, der Sinn so gewaltiger Energieentladungen sein?“
    Der Mathematiker unterbrach sich einen Augenblick, und als er weitersprach, schlug er bei jedem Wort mit dem Knöchel auf den Tisch: „Die Erscheinungen, die durch die weiße Kugel hervorgerufen werden, können uns Forscher und Wissenschaftler weder erschrecken noch in Erstaunen versetzen. Uns wundert und erschreckt vielmehr etwas ganz anderes: nämlich daß diese Erscheinungen keinen Sinn haben und zu überhaupt nichts dienen!“
    Ich spürte, daß mir ein eisiger Schauer über den Rücken lief. „Wie … wie verstehen Sie das, Herr Professor?“ fragte ich, und meine Stimme zitterte.
    „So wie ich es gesagt habe. Ich kann kein einziges Wort hinzufügen.“
    „Einen Augenblick … gestatten Sie … aber das ist mir völlig rätselhaft … Die Schaffung eines derartigen Gravitationspoles hat nach Ihrer Ansicht keinen Sinn? Vielleicht würden wir auf der Erde etwas Derartiges nicht bauen, aber …“
    „Das ist ein Mißverständnis“, sagte der Physiker. „Wir kennen einen Zweck, zu dem man einen solchen Gravitationspol schaffen kann. Ich denke an das Abfeuern interplanetarer Geschosse.“
    „Also wäre die weiße Kugel …“
    „Lassen Sie mich, bitte, ausreden. Wir verwenden auf der Erde Raketen, die durch Atomenergie angetrieben werden. Nach der Katastrophe, die dem auf die Erde entsandten Geschoß widerfuhr, ist es möglich, daß die Venusbewohner es vorzogen, in Zukunft eine andere Methode anzuwenden. Sie beschlossen, die Gravitation eben mit der Gravitation zu bekämpfen!“
    „Und wie?“
    „Eine genaue Erklärung würde zu weit führen. Genug, daß es hierbei um etwas ging, was man, bildlich gesprochen, als das Bohren eines Loches in das Schwerkraftfeld des Planeten bezeichnen könnte. Sie wissen doch, daß man eine elektrische Ladung durch eine Ladung mit entgegengesetztem Vorzeichen neutralisieren kann.“
    „Natürlich.“
    „Ähnlich ist es hier: Die Venusbewohner beseitigen örtlich die Anziehungskraft des Planeten mit Hilfe einer künstlich geschaffenen Gravitation, die im entgegengesetzten Sinne wirkt. Zum Start eines Weltraumfluges genügt unter diesen Umständen eine minimale Antriebskraft.“
    „So ist das also …“, sagte Oswatitsch, und ich fügte hinzu: „Die weiße Kugel hat also einen Zweck, und zwar einen ganz eindeutigen. Warum sagte also Professor Chandrasekar, daß …“
    „Vielleicht hatte sie einmal einen Zweck“, sprach der Mathematiker, jedes einzelne Wort betonend, „aber jetzt … hat sie keinen mehr.“
    „Ja wieso denn, um alles in der Welt?“
    „Ich kann wohl den Sinn und Zweck eines Automaten begreifen, der Weichen und Signale vor anrollenden Zügen stellt“, sagte Chandrasekar und blickte mich dabei mit seinen dunklen Augen prüfend an. „Ich kann aber nicht den Sinn eines Automaten begreifen, der den Weg vor niemandem und für nichts frei macht.“
    „Wie …? Wie soll ich das auffassen?“
    „Ganz einfach. Die Kugel bildet in bestimmten Zeitabständen ein Gravitationsfeld, das die Anziehungskraft des Planeten aufhebt. Es dient zu nichts, und es dient niemandem. Die interplanetaren Geschosse sind nicht vorhanden, und es fehlt das geringste Anzeichen dafür, daß irgend jemand beabsichtigt, welche starten zu lassen. Diese ganze Anlage ist nichts anderes als ein gewaltiger Katapult, der nach einer gewissen Zeit mit einem ungeheuren Energieaufwand den Raum öffnet und nichts, nichts in ihn hinausschleudert!“
    „Das ist tatsächlich schwer zu verstehen“, sagte Oswatitsch. Mit gefurchter Stirn, die Lippen zu einer scharfen Linie zusammengekniffen, blickte er wie abwesend in

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