Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
standen und schützend die Hand über die Augen hielten; denn wir schritten geradenwegs in die emporsteigende, aufflammende Sonne hinein.
    Ich wußte, wie sehr sie uns beneideten. Jeder von ihnen wäre gern an unserer Stelle gewesen; aber nur wir zwei waren noch imstande, weiterzugehen. Die beiden Zurückbleibenden warteten auf die anderen, die sie ins Tal hinabführen sollten.
    Mein Freund Erik stapfte hinter mir. Ich kann nur so viel von ihm sagen, daß ich mit keinem Menschen so gut zu schweigen vermochte wie mit ihm. Wir verstanden uns ohne Worte. Wenn ich ihn ansah, wußte ich, was er wollte. Seine Gegenwart machte mich stärker. Wie stets zu Tagesbeginn, mußte man erst langsam wieder in Schwung kommen. Zwanzig Schritte, ohne stehenzubleiben – ich versuchte es immer wieder, aber es gelang mir nicht. Zwölf Schritte, das war mein Rekord in dieser Höhe. Die Lungen arbeiteten wie ein Blasebalg, und wenn es erforderlich war, mit dem Eispickel Stufen einzuhauen, dann schlug einem schon nach einigen Schlägen das Herz bis in den Hals.
    Es brach ein Tag an, wie man ihn nur im Himalaja erleben kann. Die waagerechten Strahlen der Sonne teilten die Welt in zwei Hälften. Unten, in dem blauen Schatten, brodelte der Nebel. Wo er aufriß, schimmerte der von Sprüngen zerrissene, wie mit Striemen bedeckte Kantschugletscher hindurch. Im Osten und Norden erhoben sich die Gipfel des Kantschindschau, des Makau und des Pauluari, deren Felsrippen teilweise von Schnee freigefegt waren und deren Hänge von langen Wolkenstreifen durchschnitten wurden. Hinter diesen Bergen, schon in Tibet, ragte ein unbekannter Gipfel, eine breite Pyramide mit einer blendendweißen Spitze hervor.
    Wir waren bereits an der Achttausendmetergrenze. Die Mehrzahl der Gipfel schwamm unter uns im Nebelmeer. Nur im Westen, fast hundert Kilometer von uns entfernt, stand weiß und unbeweglich der Mount Everest so riesenhaft vor dem Himmel, als wäre er nicht mehr ein Teil unserer Erde, sondern ein fremder Himmelskörper, der jenseits des Horizontes emporstieg. Ich ging als erster, Erik ungefähr zehn Schritte hinter mir. Die Funkengarben, die der Schnee in die Augen warf, blendeten uns trotz der Schutzbrillen. Meine Lippen waren schon seit langem aufgesprungen und geschwollen. Das war einer der Gründe, warum wir uns nur durch einige kurze, gemurmelte Worte verständigten.
    Der Kantschindschinga ist berühmt und berüchtigt durch seine ,Eisgespenster‘, die ihn technisch schwieriger machen als den Mount Everest. Die besonderen Bedingungen des Tauens, des Gefrierens, der Kristallisation erwecken aus den Schneemassen eine Zauberwelt der ungewöhnlichsten Formen. Kilometerweit reihen sich auf den Graten riesenhafte phantastische Gebilde aneinander, die aus einem Alptraum zu stammen scheinen: gewundene Türme, Säulen und ganze Labyrinthe aus getauten und wieder gefrorenen Wächten und Eisklumpen. Die Köpfe und Kämme dieser Berggespenster überziehen sich infolge der Sonnenwärme mit einer Glasur von Eis. Auf diese Weise entstehen Decken und Eishelme, von denen viele Meter lange Stalaktiten herabhängen.
    Bis über die Knie im Schnee watend, suchte ich den geeigneten Weg zu finden. Der Grat verengte und verbreiterte sich in einem fort. Zuweilen mußte ich hart am Rande weiterschreiten und den Schneetürmen vorsichtig ausweichen, um sie nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Manchmal gelang es auch, über sie hinwegzusteigen. Dann saß ich oben und rollte die Leine ein, an der Erik zu mir emporklomm. Ein andermal wühlten wir am Fuße einer solchen Säule eine Vertiefung in den Schnee und schoben uns, nur die Fingerspitzen auf den schwankenden Koloß stützend, Schritt für Schritt an ihm vorbei.
    Plötzlich versperrte uns ein riesiger Pilz aus ineinandergefrorenen Stücken von altem und neuem Schnee den Weg. Ich schlug den Eispickel ein, um zu probieren, ob man ihn nicht überklettern könne, fühlte aber, daß er im Innern lose und wacklig war. Wenn wir uns unter dieser etwa fünfzehn Meter hohen Masse wie die Maulwürfe hindurchgruben, konnte sie jeden Augenblick über uns zusammenbrechen. Ich spähte nach links und dachte dabei an ein Traversieren oberhalb des Zemugletschers; aber der Firn des Hanges war über und über von Rissen bedeckt, es drohte Lawinenbildung. Auf der rechten Seite war nichts, überhaupt nichts. Unvermittelt stürzte ein Stein, wie mit einem Messer abgeschlagen, in die Tiefe und flog senkrecht viertausend Meter tief bis auf den

Weitere Kostenlose Bücher