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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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möglich verließ ich diese Stelle. Das rote Kügelchen verglomm langsam und schimmerte nur noch dunkelrubinrot. Nun, da ich wußte, was ich zu meiden hatte, schritt ich nach dem festgelegten Azimut weiter und war darauf bedacht, den bläulichen Stämmen in großem Bogen auszuweichen. Bald waren sie aus meinem Gesichtsfeld verschwunden; aber der Indikator, der empfindlicher war als das rote Lämpchen, zeigte an, daß der ganze Boden schwache Strahlungen aussandte. Nicht so sehr die Intensität der Strahlung ist gefährlich, als

    vielmehr die Zeit, die der Organismus ihr ausgesetzt ist. An der Scheibe des Gerätes war eine Skala in Zeiteinheiten angebracht, auf der ich ablas, daß ich in diesem Gelände höchstens eine halbe Stunde verweilen durfte. Ich beschleunigte daher meine Schritte und stand bald vor einer wallartigen Front von Gebilden, die in nichts dem ähnelten, was ich bis jetzt gesehen hatte. Das Mineral war hier zu fingerartigen Auswüchsen, zu steilen Erhebungen zusammengesintert, die mit riesigen Beulen und Blasen bedeckt waren. So ungefähr stelle ich mir Seifenschaum unter einem starken Vergrößerungsglas vor. Besonders eigenartig mutete ein Ameisengewimmel von silbernen Kügelchen an, die in die Masse eingeschmolzen waren – wie ein Insektenschwarm von einer Welle flüssigen Bernsteins. Ich versuchte, eine dieser gläsernen Erhebungen zu erklimmen, rutschte aber sofort wieder ab. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, im Märchenwald zu sein: der Ritter unter dem Glasberg.
    Parallel zu diesem Wall ging ich nun weiter. Stellenweise glich er einer erstarrten Woge. Dieser Eindruck wurde durch den wie vom Sturm zerzausten Kamm verstärkt. Den Aufstieg zu dem Wall erschwerte ein Wirrwarr von gläsernen Oktaedern. Die in der Luft hängenden Arme, die sie miteinander verbanden, waren an manchen Stellen abgebrochen und hatten den Boden mit ihren Bruchstücken übersät. Ich trat mit meinem eisenbeschlagenen Schuh gegen eine der großen Blasen – sie zersplitterte. Als ich den einen Fuß in die schartige Höhlung setzte und den anderen nachziehen wollte, zerfiel sie unter der Last meines Körpers zu kleinen Scherben, und ich befand mich unten auf dem Boden. Ich wiederholte das gleiche Manöver an einer anderen Stelle – mit demselben Mißerfolg; diesmal hätten mir die scharfen, spitzen Bruchstücke beinahe die Kombination zerschnitten. Ich verzichtete auf weitere Versuche und bog, wie mir der Kompaß anzeigte, nach Osten ab; denn der durchsichtige Wall beschrieb einen großen Bogen. Plötzlich stand ich vor einer Nische, die fast wie ein Kamin in den Felsen unserer Berge aussah. In ihrer Tiefe funkelten Myriaden von eingeschmolzenen silbernen Kügelchen; es war ein wunderbarer Anblick. Ich näherte mein Gesicht der senkrechten Wand – und erstarrte vor Entsetzen. Ein dunkles Ungeheuer mit spitzem Kopf und weit abstehenden, wie Fledermausflügel geformten Ohren beugte sich mir entgegen. Die untere Körperhälfte verschwamm in einer undurchsichtigen Wolke. Ich prallte zurück und sah nun, daß es mein eigenes verzerrtes Spiegelbild war.
    Ich tastete nach Griffen in diesem Durchbruch, der den Eindruck einer gigantischen Gletscherspalte machte. Mit größter Anstrengung, jede Unebenheit ausnutzend, erklomm ich einen Vorsprung. Die Hitze machte sich immer fürchterlicher bemerkbar. Schon längst hatte ich die elektrische Kühlvorrichtung eingeschaltet; aber sie half nicht viel. Ich erhob mich auf den Fußspitzen und suchte mit ausgestreckten Fingern etwas wie einen Griff zu entdecken. Mein Herzschlag wurde unvermittelt stärker, immer lauter pochte es, immer lauter, lauter … aber das war ja gar nicht mein Herzschlag!
    Mit einem Sprung war ich wieder unten. Ich achtete nicht auf die Splitter, die unter meinen Schuhen wegglitten, ich rannte, suchte einen Platz, von dem aus ich den ganzen Himmel überblicken konnte. Hoch über mir leuchtete die milchweiße Wolkenhülle. Aus der Ferne ertönte ein Brausen, kam näher, schwoll an. Zwischen den Wolkenschichten schimmerte wie ein dunkler Fisch eine lange glatte Spindel hindurch: der „Kosmokrator“. Ich rief, schrie in das Mikrophon und raste gleichzeitig auf die Ebene, auf das Flugzeug zu! Ich prallte gegen erstarrte Gebilde, daß es schmerzte, fiel auf die Knie, sprang wieder auf, rief von neuem die Rakete an. Das Brausen klang verändert. Der „Kosmokrator“ senkte den Bug, legte sich in die Kurve, beschrieb eine enge Spirale und wurde größer.

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