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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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again.
    – I’m on the road again.
    I ain’t got no woman just to call my special friend.
    Ich hatte auch keine Frau, die ich meine spezielle Freundin hätte nennen können.
    Aber im Moment, nur in dem Moment, war das nicht mein Problem.
    Ich fühlte mich gut, leicht, und das war verdammt viel.

 
    A m Freitag sind wir an den Kanal gegangen, um an der Baustelle vom Zackenbarsch weiterzuarbeiten, jedenfalls er.
    Als wir auf dem Weg angekommen sind, haben wir gesehen, dass der Typ mit der Karre gerade von den zwei Mistkerlen was auf die Fresse kriegte. Die komische Karre stand ein paar Meter weiter. Der klapprige Kerl, der sonst immer daraufsaß, lag auf dem Boden, in einer unnormalen Stellung, die ihn fast tot aussehen ließ. Der eine Depp, der Kleinere von den beiden, schleifte ihn an den Füßen durchs Gras, um ihn in den Kanal zu schmeißen.
    Da habe ich gesehen, wie der Typ dem Großen plötzlich einen mordsmäßigen Kopfstoß verpasste. Der ließ sich nichts gefallen, das konnte man sehen. Ich weiß nicht warum, aber es hat mich gefreut. Der andere ist nach hinten getaumelt, die Hand auf dem Gesicht, er musste es voll auf die Nase gekriegt haben, es tat mir fast weh. Aber er ist sofort wieder zum Angriff übergegangen, er wollte den Jungen an der Jacke fassen, die aber zwischen seinen Händen hängen blieb. Dann hat er ihn am T-Shirt-Kragen gepackt. Der Junge hat um sich geschlagen und sich losgerissen, dabei ist ihm das T-Shirt fast ganz über den Kopf gerutscht.
    Und da habe ich gesehen, dass es ein Mädchen war.
    Ein Mädchen?!

 
    M an denkt immer, dass man seine Freunde aus der Kindheit in- und auswendig kennt. Schwerer Irrtum!
    Der Zackenbarsch zum Beispiel: Ich habe ihn so oft sagen hören, ihm wäre alles gleichgültig, scheißegal und Jacke wie Hose, dass ich am Ende geglaubt habe, das liegt in seiner Natur. Im Übrigen habe ich auch nicht gerade oft erlebt, dass er für irgendetwas Feuer gefangen hat, abgesehen von seinem Ding mit dem Trekking im Hochgebirge.
    Aber neulich, als er vor seinem Erbe stand, habe ich gesehen, dass er lebendig ist, dass unter den Fettschichten in seinem Innersten noch etwas zuckt.
    Und das zweite Wunder fand jetzt vor meinen Augen statt: mit Gérard, dem Behinderten, den Alex immer ausfährt, wenn es nicht gerade regnet.
    Ich war schon geplättet, wie der Zackenbarsch reagierte, als er der einen Kanalratte eine Dose an den Kopf schmiss. Eigentlich gibt es niemanden, der gemächlicher und friedlicher ist als der Zackenbarsch. Und er hat so eine Art, die Leute anzusehen. Entwaffnend.
    Alex saß neben mir, den Kopf etwas geneigt. Sie beobachtete die beiden unauffällig, mit einem kleinen Lächeln, das sie total veränderte. Ich erinnerte mich an den Abend, als ich zum ersten Mal mit ihr geredet habe, in der Bar, als ich noch dachte, sie wäre ein Typ. Sie muss mich für einen kompletten Idioten gehalten haben, und dem kann ich auch nichts entgegensetzen: Alles in allem hatte sie damit recht. Wobei man sagen muss, ohne dass ich hier nach Entschuldigungen suche: Man muss erst mal drauf kommen, dass sie ein Mädchen ist. Sie tut nicht das Geringste dafür, die Leute auf die richtige Spur zu bringen.
    Während sie die Lektion im Dosenwerfen verfolgte, betrachtete ich sie aus dem Augenwinkel. Mager, muskulös, rappelkurze Haare bis auf ein paar Strähnen, die ihr in die Augen hängen. Keine Brüste, keine Hüften. Nichts Aufregendes, aber ein gewisser Stil. Ich fragte mich, wie alt sie wohl sein mochte, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig?
    Schwer zu sagen, schwer zu sehen.
    Sie wirkt ein bisschen punkig mit ihrem abgeklärten Blick, den Piercings, dem Tattoo, das so aus ihrem Ausschnitt guckt, dass man gern näher hinsehen würde, um die ganze Zeichnung zu erkennen.
    Sie rauchte ununterbrochen dünne, selbstgedrehte Zigaretten. Ich spürte, dass sie in der Defensive war, ständig in den Startblöcken und bereit, jeden abblitzen zu lassen, der sich ihr nähern wollte. Eine echte Wilde.
    Aber als ich sah, wie sie diesen armen Typen anschaute, der verbogener war als eine Büroklammer, spürte ich genau, dass er sie berührte, dass er ihr nicht egal war.
    Ich traute mich nicht, ihr Fragen zu stellen, aber Schweigen finde ich beklemmend. Ich kann nicht lange neben jemandem sitzen, ohne was zu sagen, da habe ich das Gefühl, zu ersticken.
    Also haben wir über dies und das geredet.
    Sie antwortete mit kurzen Sätzen, die sich mehr oder weniger auf »Ja« und »Nein« beschränkten.
    Dann

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