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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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deine Hand legen, mein Sohn, wenn ich nicht zu sehr Angst hätte, auszusehen wie ein Trottel.«
    »Geht schon«, habe ich gemeint.
    Da meine Stimme aber auf der letzten Silbe ganz heiser wurde und auf einmal versagte, hätte ich ihm genauso gut gestehen können, dass ich todunglücklich war.
    Ich spürte, wie ich bis unter die Fußsohlen rot wurde, mir war heiß, und ich hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. Und als mir dann auch noch Tränen in die Augen geschossen sind, habe ich es nicht mehr ausgehalten, ich bin aufgesprungen und habe meinen Vater da sitzenlassen. Ich bin einfach losgerannt.
    Ich hätte es nicht ertragen, vor meinem Vater zu weinen.
    Weder vor ihm noch vor mir.

 
    I ch bin zum Arbeitsamt gegangen, um mein Gewissen zu beruhigen. In der Eingangshalle habe ich die neuesten Stellenangebote gelesen: nichts, wie üblich. Nur nervtötende Sachen.
    Außerdem ist es so: Sobald ein Angebot auch nur ungefähr meiner Ausbildung entspricht, steht immer dabei: Berufserfahrung erforderlich. Kann mir mal jemand erklären, wie man Berufserfahrung kriegen soll, wenn einem niemand Arbeit gibt?
    Als ich gerade wieder gehen wollte, hat mich die Frau an der Theke zu sich gewinkt: »He! Warten Sie mal! Ich hätte da vielleicht etwas für Sie, ab nächster Woche: einen befristeten Job in der Tagesklinik am Boulevard Mallarmé. Empfang und Telefonvermittlung. Das ist doch Ihr Profil, oder?«
    »Äh, nein, nicht ganz … Ich habe eine Ausbildung in Public Relations. Steht in meinem Lebenslauf.«
    »Ja, ja, das sehe ich. Dann könnten Sie das, oder? Telefonvermittlung, das ist doch Public Relations, nicht?«
    Ich habe gemeint, ja, klar, das ist schon die gleiche Branche, wenn auch nicht ganz der gleiche Zweig.
    »Dann ist das also Ihr Profil!«, hat die Frau wiederholt.
    Ihr Profil hätte ich auch gern gesehen, nachdem es von jemandem poliert worden wäre, der nicht so feige, aber dafür gewaltbereiter ist als ich.
    Aber ich habe mich damit begnügt, sie dümmlich anzulächeln.
    Manchmal ist eine gute Erziehung eine Behinderung.

 
    A uf der anderen Straßenseite kam Alex gerade aus dem Tabakladen. Wir waren in der Garage von Zackenbarts Haushaltsgeräteladen, das Schwingtor stand offen. Sie hat uns zugewinkt und ist rübergekommen. Als sie das Gespann gesehen hat, hat sie ein anerkennendes Pfeifen von sich gegeben.
    Oder vielleicht, als sie das Gespann mit dem Zackenbarsch drauf gesehen hat, mit seinem Helm auf dem Kopf, in T-Shirt, Shorts und Flipflops. Der Zackenbarsch hat ihr das Ding komplett präsentiert: den Lack, die Chromteile, die Schwinggabel.
    »Willst du’s ihr verkaufen?«, habe ich gefragt.
    Sie hat gelächelt. »Da würde er sich umsonst bemühen, ich habe nicht das nötige Kleingeld. Aber zu einer kleinen Probefahrt würde ich nicht nein sagen …«
    Sie hat sich mit einer geschmeidigen Bewegung neben mich auf das Tiefkühlgerät gestemmt, auf dem ich saß. Es war alles ganz natürlich. Sie kam an, machte es sich bequem, und es störte uns nicht, weder den Zackenbarsch noch mich. Als wäre sie schon immer da gewesen.
    Der Zackenbarsch hat sie gefragt, wo sie ihren Verrenkungskünstler geparkt hätte.
    »Meinen was?«
    »Deinen Kumpel Gérard.«
    »Ach so! Der ist zu Hause geblieben. Ich war heute Morgen auf Arbeit. Ich fahre ihn nur aus, wenn ich freihabe.«
    Sie redete ein bisschen über ihn wie über einen Hund, den sie zum Pinkeln ausführte, aber es war keine Ironie. Eher eine Art Zärtlichkeit.
    Wir haben noch zehn Minuten weitergequatscht, bis plötzlich Monsieur Zackenbart in die Garage geplatzt ist. Er hat Alex gemustert, mich kaum angeschaut – nicht mal »Guten Tag«, wie üblich –, dann hat er gemotzt: »Olivier, der Riemen für den Whirlpool von Monsieur Guimont, der gestern mit der Post gekommen ist – wo hast du den hin?«
    »Auf deinen Schreibtisch, ich habe ihn in der Verpackung gelassen.«
    »Ich hatte dir doch gesagt, du sollst ihn auf die Theke legen, verdammt, ich suche ihn seit einer Stunde! Und hast du nichts Besseres zu tun, als hier mit deinen Freunden zu plaudern? Meinst du nicht, wir könnten im Laden etwas Hilfe gebrauchen, deine Mutter und ich? Wie wär’s, wenn du mal absteigen und deinen Hintern bewegen würdest?«
    »Ist ja gut, ich komme!«
    Sein Vater hat genervt in den Regalen gekramt und ist dann mit leeren Händen wieder rausgegangen, ohne »Auf Wiedersehen« oder sonst was.
    Äußerlich sieht er seinem Sohn ähnlich, ist aber ein paar Nummern

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