Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
Vom Netzwerk:
stapelte, und mechanisch wiederholt: »Schwanger?«
    Mit wuterstickter Stimme habe ich ein »Ja« herausgepresst.
    Da hat er gesagt: »Aha, so, so. Na, super!«
    Ich habe ihn angestarrt, als wäre er verrückt. »Wie, super ?«
    Aber er, kein bisschen irritiert, redete weiter, ohne mich auch nur anzuschauen: »Und wann ist es so weit?«
    Was zur Hölle interessierte es ihn, wann es so weit war? Ich erzählte ihm das alles doch nicht, damit er schon mal die Geburtsanzeige entwarf, zumal er nicht der Vater war.
    Aber er hörte nicht auf: »Und was wird es, weiß sie es schon? Junge oder Mädchen?«
    »Wieso? Hast du vor, was zu stricken?«
    Da hat er schließlich bemerkt, dass ich irgendwie genervt war, hat die Kiste abgestellt, die er im Arm hatte, und mich mit seinen großen erstaunten Augen gemustert: »Was ist denn? Stinkt es dir, dass sie ein Kind kriegt?«
    Ich habe gemeint, ach woher, was sollte mich das kratzen, haha, es wäre ja bloß ’ne Tussi, mit der ich vier Jahre zusammen war, kein Grund zur Aufregung. Ich hatte gute Lust, ihm die Taschen mit seinen Bierdosen vollzustopfen und ihn dann in den Kanal zu stoßen.
    »Na ja, sieht aber schon so aus, als ob es dir stinken würde«, hat Sigmund Freud da gemeint.
    »Okay, ein bisschen, wenn du die Wahrheit wissen willst …«
    »Aber was juckt dich das denn? Es ist doch aus zwischen euch!«
    Da habe ich mich plötzlich allein gefühlt.
    Der Zackenbarsch hatte recht. Mit Lola und mir war es aus, und das nicht erst seit gestern.
    Ich musste das Vergangene hinter mir lassen, einen Strich drunter ziehen, das Blatt wenden. Aber ich konnte machen, was ich wollte, auf der Straße sah ich nur noch Frauen mit dicken Bäuchen. Und Kinderwagen, Buggys, Plüschtiere und Fläschchen. Die ganze Stadt hatte sich in eine verdammte Geburtsklinik verwandelt. Eine Stadt voll werdender oder frischgebackener Papas, mit vor dümmlichem Stolz feuchten Augen, schwachsinnigem Lächeln auf den Lippen, glücklich bis über beide Ohren.
    Und ich versank in meinem einsamen, fruchtlosen Elend.
    Das Blatt zu wenden würde nicht reichen.

 
    A m Mittwoch hat der Zackenbarsch gegen neun Uhr abends gesimst: Affengeil!
    Daraufhin habe ich mich gleich nach dem Essen zu ihm geschleppt. Der Zackenbarsch begeistert sich nie. Er ärgert sich auch nie über irgendwas. Er ist emotional schweizerisch: grundsätzlich neutral. Wenn er etwas »affengeil« fand, musste das schon ein totaler Kracher sein!
    Als ich vor dem Laden ankam – Bei Zackenbart sind die Preise zart!  –, lehnte er mit dem Rücken an der Garage und lächelte vor sich hin. Allein das war mehr als verdächtig.
    Ich hatte kaum hallo gesagt, da platzte es schon aus ihm raus: »Ich habe geerbt.«
    »Hä?«
    »Ich habe geerbt! Von meinem Großonkel.«
    »…?«
    »Ich hab eine Erbschaft gemacht!«
    Ich wollte schon fragen: »Wie viel?«, als er hinzufügte: »Komm, schau sie dir an.«
    Er hat das Schwingtor der Garage halb angehoben, ist drunter durchgeschlüpft und nach hinten gegangen, um neben der Tür zum Laden das Licht anzuknipsen. Ich bin ihm gefolgt. Ich habe das Klicken des Schalters gehört, dann lag alles in grellem Licht, die Betonwände, die Kisten, das Material, die Regale, das Auto seiner Eltern, der an den Rändern wellenschlagende Pingpongtisch und die alten Kinderfahrräder von seinen beiden Schwestern und ihm.
    Und mittendrin das Erbstück.
    Ein schönes Motorradgespann, schwarz mit roten Flammen, mit einem Anhänger hintendran.
    Der Zackenbarsch kam zu mir zurück, mit einem glücklichen Gesicht, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte, als hätte er es sich extra für diesen Moment irgendwo geliehen.
    Er lehnte sich an die Betonwand und sagte: »Mein Großonkel hat es mir vermacht. Er hat meinem Vater einen Brief hinterlassen, bevor er ins Krankenhaus ging. Er wusste, dass er erledigt war. Und da hat er alles, was er besaß, zwischen uns aufgeteilt, meinen Eltern, meinen Schwestern und mir. Er hatte keine Kinder.«
    Ich hatte ihn selten so lange am Stück reden hören.
    Er fuhr fort: »Das gehört mir , verstehst du?! O Mann, auf das Ding war ich schon mit zehn Jahren scharf! Hast du gesehen, wie geil das ist? Komm näher! Schau es dir an!«
    Ich habe keine Ahnung davon und interessiere mich auch nicht dafür, das müsste er wissen, aber ich spürte genau, dass in diesem Augenblick Ekstase angesagt war, also bin ich ganz langsam um die Maschine rumgelaufen und habe mit Kennermiene gemeint: »Meine Fresse! Echt

Weitere Kostenlose Bücher