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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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cooles Teil. Sieht aus wie neu.«
    »Klar, Mann! Er hat es selbst neu lackiert, vor nicht mal zwei Jahren. Er muss Stunden damit zugebracht haben, er war total besessen. Es ist eine Yamaha XS 1100 mit Schwinggabel. Die läuft wie am Schnürchen, wirst sehen.«
    Ich habe einen Blick in den Beiwagen geworfen. »Besonders groß ist der nicht.«
    »Machst du Witze?! Das ist ein Jeaniel Condor. Anderthalb Plätze, sogar zwei, wenn man sich liebt.«
    Der Zackenbarsch ist eine Weile wortlos in der Betrachtung der Maschine versunken. In seinen Augen stand ein zärtlicher Schimmer. »Er fuhr uns spazieren, meine Schwestern und mich, als wir klein waren. Ich stieg hinten auf, und meine Schwestern saßen im Boot. Hab ich dir doch schon erzählt!«
    Ich habe genickt.
    Er hatte mir tatsächlich davon erzählt, und nicht nur ein Mal, von diesem tollen Gespann und den Ausflügen mit seinem Großonkel, wenn er in den Ferien bei ihm war, ich weiß nicht mehr genau, wo. Baskenland oder so.
    »Er ist damit durch ganz Europa gefahren! Von Spanien bis zum Nordkap. Er war ein echter Spinner. Aber wir hatten eine Menge Spaß mit ihm.«
    Ich habe gefragt: »Um das Ding zu fahren, braucht man doch einen Motorradführerschein, oder?«
    »Ja, klar. Hab ich.«
    »…?«
    Der Zackenbarsch hat mich angeschaut, eine Braue hochgezogen und geseufzt: »Was denn?«
    »Im Ernst? Du hast ’nen Motorradführerschein?!«
    »Auto, Motorrad, Lkw und Bus.«
    Davon wusste ich nichts. Er hatte mir nie davon erzählt.
    Ich war platt.
    Da hätte er mir genauso gut mitteilen können, dass er sich zu einem Breakdance-Wettbewerb angemeldet hätte, Vater zweier Kinder wäre oder Squash spielen würde.
    »Aber … warum hast du denn diese ganzen Führerscheine gemacht? Wofür?«
    Er hat mit den Achseln gezuckt. »Einfach so. Um sie zu haben.« Und er hat hinzugefügt: »Aber was soll die Frage überhaupt? Ist doch scheißegal. Das muss gefeiert werden! Wie wär’s mit ’nem ordentlichen Bier?«

 
    A m nächsten Vormittag haben wir mit seinem Erbstück eine kleine Proberunde gedreht. Ich quetschte mich in den Beiwagen – der Zackenbarsch bestand darauf – und betete in jeder Kurve, dass wir keine Platane erwischten.
    Anderthalb Plätze, schon möglich, aber nicht in der Länge. Mein Kinn befand sich fast zwischen den Kniescheiben.
    Der Zackenbarsch hatte den Helm seines Großonkels auf, der ebenfalls zum Erbe gehörte. Was die Lederkluft anging, keine Chance – die Größe war falsch. Er ist auf die Maschine gestiegen, die unter seinem Gewicht mit einem ergebenen Seufzer zusammensackte. Und als ich gesehen habe, wie er die Rückspiegel einstellte und auf dem Sitz ein bisschen hin und her wackelte, um seinen überquellenden Hintern zu platzieren, da habe ich mir gesagt, dass er schon was hermachte, mein guter Zackenbarsch, mit seinem ewigen Dreitagebart, dem Helm mit den roten Flammen, seinem XXXXL-T-Shirt, das um den Bauchnabel spannte, und den spitzen Cowboystiefeln.
    »Ein echter Biker!«, habe ich gesagt.
    Er hat die Augen verdreht: »Mach dich nur lustig.«
    Aber ich wusste, dass er sich freute.
    Ich war fast eifersüchtig. Nicht auf das Motorrad. Aber auf diese neue Freiheit, von heute an jederzeit überallhin fahren zu können, ohne irgendjemanden fragen zu müssen.
    Wir sind erst mal über die Landstraße gezuckelt, damit er ein Gefühl für den Beiwagen bekam – so ein Gespann fährt sich nämlich nicht wie ein Tretroller.
    Ich blickte ab und an zu ihm auf und sah, dass er konzentriert und einigermaßen sicher fuhr. Aber dann schaute ich sofort wieder auf die Straße, überzeugt, dass der Tod an der nächsten Kreuzung auf uns wartete – in so einem Beiwagen kann einem das Blut echt in den Adern stocken, wenn man es nicht gewohnt ist.
    Dann, ich weiß nicht warum, bin ich langsam auf den Geschmack gekommen.
    Es vibrierte von allen Seiten, ich spürte jedes Schlagloch, und wenn ich den Mund offen ließ, klapperten meine Zähne, dass fast der Schmelz abplatzte. Total cool. Es war ein komisches Gefühl, so dicht über dem Boden und mit dieser Geschwindigkeit dahinzurasen, es war unheimlich und berauschend.
    Ich kam mir vor wie in einem Roadmovie und machte selbst die Tonspur dazu. Eingeklemmt in meine Sardinenbüchse grölte ich aus voller Kehle einen Hit aus dem letzten Jahrhundert:
    Well, I’m so tired of cryin’, but I’m out on the road again.
    – I’m on the road again.
    Well, I’m so tired of cryin’, but I’m out on the road

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