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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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deprimierender, als ich dachte.
    Ich konnte verstehen, dass Alex sich hin- und hergerissen fühlte: Sich raushalten oder versuchen, einen Ausweg zu finden? Und welchen? Gérard hatte keine Zukunft im üblichen Sinne, mit allem, was man an Hoffnung auf Veränderungen damit verbindet. Mir fiel plötzlich der Satz meines Vaters wieder ein: Du hast zwei Arme, zwei Beine, du bist gesund … dieses Glück hat nicht jeder . Gérard hatte es nicht, das war klar. Und daran würde alles Mitgefühl der Welt nichts ändern. Wir hatten keinen Zauberstab, um ihn geradezubiegen oder zu bewirken, dass es ihm besserging.
    Und während ich Alex zuhörte, dachte ich mir, dass das eine echte Doppelbestrafung ist, wenn man behindert ist und in so einem Umfeld lebt. Ohne dass man irgendein Verbrechen begangen hätte.
    Sie erzählte das alles mit einer ruhigen, kühlen, abgeklärten Stimme. Es klang wie ein Polizeibericht: Orte, Fakten, Zitate. Ich spürte, dass sie das brauchte, dass sie ihre Erzählung ganz nüchtern präsentieren musste, um die Fassung zu bewahren, um nicht zu sehr ins Emotionale abzurutschen. Ich schaute ihr zu, wie sie ihren Kaffee trank, dazu eine Zigarette rauchte und ihre Streichhölzer zu Kleinholz verarbeitete, das sie dann zu winzigen akkuraten Stößen stapelte. Ich mag Leute, die Marotten haben, kleine Gewohnheiten, die viel über sie aussagen. Die sind wie kleine Fenster in ihren Schutzmauern.
    Dann hat sie mir vom Projekt einer ihrer Freundinnen erzählt. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist diese Frau für sie so etwas wie Stef für mich. Eine Schwester, eine echte, ohne die Nachteile der Familie, diese verfluchten Blutsbande, die so eng um unsere Knöchel liegen, dass sie für immer Spuren hinterlassen.
    Sie sehen sich fast nie, aber das ändert nichts an dem Kapital zwischen ihnen. Es wächst dadurch sogar, mit Zinsen. Freundschaft ist heutzutage die letzte kluge Anlageform.
    Dann hat sie mir gesagt, sie hätte da eine Idee im Kopf.
    Wenn wir nicht einverstanden wären – kein Problem, sie würde das gut verstehen.
    Ich habe zugehört. Sie versuchte, es kurz zu machen, wie immer. Mit ihren präzisen kleinen Sätzen. Es war klar und deutlich. So, wie ich es mag.
    Ich habe ihr gesagt, ich würde mit dem Zackenbarsch darüber reden.
    Und ich wusste schon, was er antworten würde.

 
    D er Zackenbarsch hat ja gesagt.
    Ich habe ihm erklärt, es würde vielleicht gar nicht gehen. Und in jedem Fall würde es wohl ein bisschen kompliziert werden.
    »Na und? Da pfeifen wir doch drauf. Ein bisschen kompliziert , pah!«
    Er hatte gerade »wir« gesagt. Ich war in den Zackenbarsch-Club aufgenommen, ich gehörte endlich auch zu den Auserwählten, denen alles scheißegal ist. Und in diesem konkreten Fall entsprach das absolut der Wahrheit. Es war mir scheißegal, ob die Sache schwierig war.
    Der Zackenbarsch war ins Pyrénées gekommen, nachdem Alex gegangen war. Sie hatte ihn gleich dazugebeten, als sie sich mit mir verabredet hatte, aber er hatte noch Dienst. Monsieur Zackenbart hat nämlich willkürlich und einseitig beschlossen, dass sich sein Sohn an zwei Tagen in der Woche persönlich um die Kundschaft zu kümmern hat. Damit er endlich Verantwortung übernimmt und etwas Einsatz zeigt.
    Der Zackenbarsch aber findet, dass sich sein Einsatz nicht auszahlt. Doch es gelingt ihm nicht, seinen Vater davon zu überzeugen, dass er kein Geschäftsmann ist.
    »Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, damit er kapiert, dass mir sein Laden am Arsch vorbei geht! Schon dieses ständige Guten-Tag-Geschwafel macht mich fertig. Ganz zu schweigen von den Betrachtungen über das Wetter von heute, gestern und morgen!«
    Der Zackenbarsch besitzt unter anderem die Gabe, fremde Stimmen und Dialekte nachzuahmen. Asthmatische Omas sind seine ganz besondere Spezialität. Wobei er da mit einem Vorteil ins Rennen geht: Er ist selber Asthmatiker.
    »Oh, meeein Gott, ist das heiß! Ziiiiiissschhh. Aber wir wollen uns nicht beklagen, ziiiiiissschhh , nach diesem … ziiiiiissschhh … schlechten Wetter in den letzten Tagen!«
    Ich lache mich schlapp.
    Der Zackenbarsch schimpft weiter: »Mindestens fünfzig Mal am Tag muss ich mir den Wetterbericht reinziehen! Und mein Alter erwartet, dass ich mein Leben hinter dieser Theke verbringe und mir permanent das Gesülze der Leute anhöre, während ich ihnen Viertaktherdschalter, Kochfeldschaber, Scharniere oder Küchengeräte verkaufe … Ich bin doch nicht bescheuert!«
    Der Zackenbarsch

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