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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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hocken und schmollen, den Kopf tief in der Ellenbeuge vergraben? Jemanden treten oder an den Haaren ziehen? Liebesbriefchen schreiben mit Herzen drum rum und einem Radiergummi oder einem Bonbon als Pfand dazu?
    Manchmal sage ich mir: Erwachsen werden bedeutet, für immer das Recht zu verlieren, Spaß zu haben.
    Ich werde nie mehr versuchen, über die Rathausmauer zu klettern, das ist klar. Außer wenn ich sturzbesoffen bin. Und auch dann wahrscheinlich nicht. Ich werde nicht mehr mein Sparschwein schlachten, um Sammelbildchen zu kaufen. Ich werde keine Wettbewerbe im Weitpinkeln mehr machen. Ich werde auch nicht mehr versuchen, Weltmeister im Kaugummiblasenmachen zu werden, mit klebrigen rosa Fäden bis in die Haare.
    Dem Zackenbarsch und mir fehlt es vielleicht ein wenig an Reife. Aber auf die Reife folgt schon sehr bald das Verfaulen. Wir werden bald dreißig. Und das würden wir gern so lange wie möglich vergessen. Wir sind selber wie Kaugummiblasen: Wir werden immer größer, immer praller. Bis wir irgendwann platzen.
    Gérard schert sich einen Dreck darum, sich »ordentlich zu benehmen«. Er schwebt weit über alldem, hoch über den Wolken. Was willst du auch machen, wenn du so eine Visage mit so einem Körper hast? Wenn du schlimmer als ein Bernhardiner sabberst und alle Wörter so vernuschelst, dass kein Mensch irgendwas versteht? Wenn sich die Leute auf der Straße tuschelnd nach dir umdrehen und dich heimlich angaffen, als wärst du ein Alien oder eine Jahrmarktsattraktion?
    Vielleicht gefällt Gérard dem Zackenbarsch deshalb so gut. Sie führen den gleichen Kampf. Pfeifen auf alles. Außerhalb jedes Maßes, jeder Norm.
    An dem Tag, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin, habe ich gedacht, so wie er aussieht, muss er den IQ einer Kaulquappe haben. Aber das stimmt nicht. Gérard ist intelligent. Pech für ihn. Aber er hat trotz allem Spaß und liebt das Leben.
    Deshalb beschämt er uns.
    Der Zackenbarsch schaute Gérard zu, wie er angesichts des Gespanns in einen sabbrigen Freudentaumel geriet. Er lächelte gerührt, geradezu mütterlich. Er sah aus wie eine dicke Zeichentrickfilmglucke, die voller Entzücken ihr Lieblingsküken beobachtet.
    Plötzlich hat er gefragt: »Wie wär’s – willst du mal ’ne Runde drehen?«
    Gérard ist mit einem Schlag erstarrt, er ist zwischen zwei Lachsalven steckengeblieben, den Mund weit offen. Er hat nur mit beiden Augen gezwinkert, mehrmals, das war alles.
    Wir warteten auf seine Antwort, aber er klappte bloß den Mund auf und zu, ohne einen Laut. Wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    »Hey, verdammt!? Hallo? Atme!«, hat der Zackenbarsch besorgt gerufen.
    »Gérard?«, hat Alex gesagt, ebenfalls leicht gestresst.
    Schließlich haben wir eine Art Schluckauf gehört, und dann ist etwas von sehr weit drinnen hervorgebrochen. Etwas zwischen Kriegsgeheul und Siegesgesang, schwer zu beschreiben. Es endete mit einem entzückten »Ssssuper!«.
    Der Zackenbarsch hat erleichtert aufgeatmet. Er hat gesagt: »Na gut, das soll wohl ja heißen!«

 
    G érard in den Beiwagen zu bugsieren war nicht ganz einfach.
    Schließlich hat Alex beschlossen, mit ihm ins Boot zu steigen, um ihn abzupolstern und eventuell zu beruhigen. Sie sind beide dünn und würden ohne Mühe nebeneinander Platz finden. Alex hat sich als Erste reingesetzt.
    Die Karre haben wir in der Zwischenzeit ein paar Meter weiter im Gebüsch versteckt, hinter der Brücke. Niemand würde erraten, dass sie hier war.
    Gérard war in einem unglaublichen Zustand, total aufgekratzt.
    Wir lachten uns schlapp darüber, wie er in allen Tonlagen »Dasssiss – sssuper! Dasssiss – sssuper! Dasss-iss-sssuuuu-per!« sang.
    Der Zackenbarsch dirigierte Gérards Einstieg in den Beiwagen, als ginge es um das Andocken der Sojus-Kapsel an die internationale Raumstation.
    Alex war drinnen, ich draußen, bereit einzugreifen, ohne recht zu wissen, wie, aber trotzdem konzentriert. Und von Gérard ragte mal ein Fuß heraus, mal ein Arm, auf den wir nicht draufzudrücken wagten, um ihn hineinzuzwängen, auch wenn wir durchaus in Versuchung waren …
    »Gérard, hörst du mich?«, schrie der Zackenbarsch, als säße der tief unten in einem Abgrund.
    »Mja!«, antwortete er mit erstickter Stimme.
    »Mach dich locker, Gérard! Locker! Du musst loslassen, okay? Du bist ganz steif!«
    »Okeh-Scheff!«
    »Entspann dich, verdammt!«
    »Mja, ichh-binn ganss ennspannt!«
    Schließlich haben wir es geschafft. Gérard saß drinnen, an Alex gelehnt, die

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