Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
Vorschein. Gruber fand das höchst interessant und fragte dies und das, und Roberto hoffte, dass der Backofen wirklich dreihundert Grad entfachte, wie auf dem Drehregler als höchste Stufe geschrieben stand. Das Geschwiemel und Geschwurbel des Deutschen ging ihm extrem auf die Nerven. Um den Tauprozess zu beschleunigen, stocherte er mit einem Messer in dem Eisklumpen herum, um ihn in möglichst viele kleine Teile zu zerlegen, und als die beiden an der höchst philosophischen Frage der Vergeblichkeit angelangt waren, die einen Künstler immer dann quälte, wenn er in einer Blockade steckte, war die trippa endlich fertig.
«Bravo!», sagte Gruber. «Zum Schluss noch eine kleine Geschichte zum Thema Vergeblichkeit, Franco.»
Roberto schaufelte drei Portionen auf drei Teller.
«An einem Strand bei Ebbe liegen Abertausende von Seesternen in der heißen Sonne, dem Tode geweiht. Ein kleiner Junge packt einen Stern nach dem anderen und wirft ihn zurück ins Meer. Da kommt ein Mann vorbei und sagt: Junge, was du da machst, ist völlig nutzlos. Siehst du nicht, wie viele Seesterne es sind? Einer mehr oder weniger, das macht keinen Unterschied. Da nimmt der Junge einen weiteren Seestern, wirft ihn ins Wasser und sagt: Aber für diesen einen macht es einen Unterschied.»
Franco lächelte. «Eine schöne Geschichte», sagte er und wurde plötzlich sehr ernst. «Das Gegenteil stimmt allerdings auch.»
«Was meinst du?», fragte Gruber und schob sich einen Bissen in den Mund. «Oh, was für ein Genuss!»
«Für die Juden, die mein Opa verraten hat, hat es auch einen Unterschied gemacht», sagte Franco bitter.
Niemand sagte etwas. Gruber pikste noch ein Stück Fleisch auf, doch dann legte er die Gabel zurück auf den Teller, wischte sich mit der Serviette den Mund ab und sah Franco an.
«Was ist?», fragte der.
«Ich glaube, ich fühle mich nicht gut, wenn ich zuerst dieses Essen genieße und dir dann erzähle, was meine Recherchen ergeben haben.»
Franco wurde blass, legte sein Besteck sehr sorgfältig zur Seite und sah Gruber mit schweren Augen an. «Bitte ganz einfach geradeaus. Keine Umwege.»
Gruber nickte und konzentrierte sich. «Am 8. September 1943 haben die Nazis Italien besetzt und sofort mit der Deportation von Juden begonnen. Himmler befahl, in Rom 8000 Juden zu inhaftieren und in Vernichtungslager zu deportieren. Aber in einer ersten großen Aktion brachten die Gestapo und die italienische faschistische Polizei unter Commandante Pietro Caruso nur 1259 zusammen. Was zum einen an der undurchschaubaren italienischen Bürokratie und dem lückenhaften Meldewesen lag. Zum anderen versteckten viele Italiener ihre jüdischen Nachbarn oder behaupteten schlicht und einfach, keine Juden zu kennen.»
Gruber nahm einen Schluck Wasser und warf Franco einen prüfenden Blick zu.
Franco nickte. «Ich bin immer noch bereit.»
«Weil es immer unwahrscheinlicher wurde, dass die von Himmler geforderten achttausend tatsächlich inhaftiert werden konnten, kam es zu einer Radikalisierung der Judenverfolgung. An dieser Stelle kommt die 18-jährige Jüdin Celeste di Porto ins Spiel, eine sehr schöne, sehr begehrte Frau. Sie arbeitete als Kellnerin im ristorante Il Fantino an der Piazza di Giudia. Daher ihr Spitzname ‹Stella di Piazza Giudia›. Ihr zweiter Spitzname war ‹La Pantera Nera›, die schwarze Pantherin. Den hatte sie, weil sie der Kopf einer gleichnamigen Verbrecherbande war, die einem makaberen Geschäft nachging: Celeste di Porto verriet Juden an die Gestapo, kassierte von den Deutschen ein Kopfgeld von 5000 Lire, was damals in etwa dem Jahresgehalt eines Arbeiters entsprach, und sobald die Verratenen verhaftet worden waren, brach sie mit ihren Kumpanen in deren leerstehende Wohnungen ein.
Celeste di Porto war mit einem Juden verlobt, verliebte sich jedoch in einen italienischen, einen katholischen Soldaten, den sie bei der Arbeit kennengelernt hatte, und das war dein Opa, Franco. Ob er die dunkle Seite seiner Geliebten kannte, weiß ich nicht.»
Erneut nahm Gruber einen Schluck Wasser, erkennbar nervös.
«Am 23. März 1944 haben italienische Partisanen auf der Via Rasella in Rom eine Bombe gezündet, die dreiunddreißig Männer eines SS-Polizeiregiments tötete. Hitler befahl daraufhin, als Vergeltung zehnmal so viele Italiener hinzurichten. Pietro Caruso, der Polizeichef, sollte eine Liste mit 330 Namen erstellen. Caruso wollte so viele Juden wie möglich auf dieser Todesliste haben. Einer von ihnen
Weitere Kostenlose Bücher